EINBLICK

KLIMA. WECHSELN. BITTE. ALLE.

Mit frischen Ideen in eine grüne Zukunft


Von Lorenz Leumann
 

Ich stoppte den Film nach der traurigen Zeugenaussage von David Attenborough: „Die nicht-menschliche Natur ist so gut wie verschwunden – wir haben sie zerstört!“

Betroffen schauten mich vierundzwanzig Augenpaare an. Die eindrücklichen Bilder rüttelten auf und das Ausmass der menschlichen Dominanz auf Erden ging unter die Haut.

Die Hälfte des fruchtbaren Bodens auf unserer Erde ist nun Ackerland. 70 % aller Vögel gehören zum Nutzgeflügel, die grosse Mehrheit davon sind Hühner. Wir Menschen machen über ein Drittel des Gewichts der Säugetiere auf der Erde aus. Weitere 60 % bringen die Tiere auf die Waage, die wir als Nahrung aufziehen. Und der kleine Rest von 4 % bleibt für sämtliche wilden Säugetiere, von Mäusen über Giraffen, Löwen, Elefanten bis zu Walen.

Der international berühmte Naturforscher und Filmemacher Sir David Attenborough stellt im Film A life on our planet fantastische Aufnahmen der Natur zusammen. Der 94-Jährige führt uns aber auch eindrücklich vor Augen, wie katastrophal unsere Welt aussehen wird, wenn wir so weiter machen wie bisher. Prophetische Fähigkeiten braucht es dazu keine. Hingegen schafft es Attenborough als unermüdlicher Optimist tatsächlich, eine Perspektive aufzuzeigen, wie wir da wieder herauskommen. Die Natur verfügt über wunderbare Selbstheilungskräfte, wenn man sie nur lässt. Die einzige Bedingung: Wir müssen aktiv handeln, und zwar jetzt!  

Darin geht er einig mit den führenden Klimaforschern, mit Biologinnen und Naturschützern aus aller Welt, mit Greta Thunberg – und mit den Schülerinnen und Schülern, die sich für das Freifach „Klimakrise und Klimaschutz“ angemeldet haben.

Ich bin Biologielehrer am LG und unterrichte dieses Freifach seit letztem Sommer. Wir schauen uns klimarelevante Filme und Dokumentationen an und diskutieren über das jüngste Buch von Bill Gates Wie wir eine Klimakatastrophe verhindern,  in welchem er die genau recherchierte, prekäre Klimalage unserer Zeit schildert und einen Leitfaden zu deren Bekämpfung mitliefert.  

Mit grossem Elan möchten diese Schülerinnen und Schüler auch etwas an der Schule und an unserem Verhalten verändern. Unter dem Motto Rämi for Future suchen sie nach geeigneten Methoden, um den eigenen ökologischen Fussabdruck zu verkleinern und andere Leute zu überzeugen, dasselbe zu tun, um das Recycling an der Schule zu verbessern oder um mit Lehrpersonen, Mitschülerinnen und Mitschülern über nachhaltigen Konsum – mit oder ohne Verzicht – ins Gespräch zu kommen.  

Für diesen Frühling bereiten die Schülerinnen und Schüler die Food for Future Olympiade vor. In verschiedenen Disziplinen sollen sich alle Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler eigene Ziele setzen. Beim 100-m-Lauf darf ich beispielsweise für zwei Wochen keinen „foodwaste“ generieren und esse konsequent jeden Teller bis auf den letzten Krumen leer. Beim Speerwurf ernähre ich mich für zwei Wochen strikt vegetarisch und beim Ironman stecke ich meine Ziele sehr hoch, indem ich zusätzlich fünf weitere Personen (Eltern, Götti, Tanten etc.) überzeuge, den zweiwöchigen Triathlon zu absolvieren – vegan, no foodwaste, alles nur lokal und saisonal. Dafür gibt es allerdings attraktive Gutscheine in der vegetarischen Hochburg Tibits zu gewinnen. Die Preise werden dabei gesponsert durch den VEGL, den traditionsreichen Ehemaligenverein des LG, der – offensichtlich seiner Zeit weit voraus – schon seit über einem halben Jahrhundert das Vegane im Namen zelebriert.

Änderungen in unserem Essverhalten sind sofort und relativ einfach umsetzbar. Vor allem aber sind sie ökologisch sehr effektiv. So reduziert sich der Fussabdruck der Ernährung von Herrn und Frau Durchschnittsschweizer beispielsweise um 24 %, wenn er/sie auf vegetarische Ernährung umstellt. Im Jahr 2019 verzehrten die Schweizerinnen und Schweizer im Schnitt satte 47,8 Kg Fleisch. Ein Flexitarier hat dagegen viele leckere Alternativen entdeckt (Bulgur, Tofu, Cocobohnen, Quinoa, hunderte Gemüsesorten, Beyond Burger, Planted Chicken u. a.) und kommt mit einem Drittel der Fleischmenge aus, rund 300 g pro Woche.

Experten haben berechnet, dass weltweit 50 % des angebauten Getreides und der angebauten Hülsenfrüchte im Rahmen der Viehzucht verfüttert werden. Durch reduzierten Fleischkonsum würde der Ausstoss an klimaschädlichen Gasen (Methan, das von Wiederkäuern ausgeschieden wird, und Distickstoffmonoxid (N2O) aus Gülle) massiv verkleinert. Die klimaschädigende Wirkung der Rindfleischproduktion ist enorm, weil leider jedes Methanmolekül, das in die Atmosphäre gelangt, im Vergleich mit einem CO2-Molekül die 28-fache Wärmewirkung erzeugt. Bei N2O ist die Erwärmung pro Molekül sogar 265-mal stärker. Aber zugegeben, die Zusammenhänge sind nicht offensichtlich und nicht direkt erfahrbar. Als Konsument merke ich ja nicht, dass weniger Fleischkonsum in der Schweiz zum Beispiel weniger Abholzung in Südamerika bedeutet.

Wir belasten die Umwelt aber auch massiv mit Reisekilometern, insbesondere mit Flugreisen. Deshalb beschloss das LG vor zwei Jahren, auf Anregung von Schülerinnen und Schülern, Flüge im Klassenverband zu streichen, ohne auf eine gemeinsame Reise zu verzichten.  

Dieses Schuljahr nehmen alle 5. und 6. Klassen im Rahmen des Biologieunterrichts an einer schulinternen Ecotrip Challengeteil (ein Angebot vom Verkehrsclub der Schweiz VCS). Dabei tragen alle Schülerinnen und Schüler die in den Arbeitswochen und in den Ferien gereisten Kilometer in eine Tabelle ein und notieren, ob die Reise mit Auto, Bus, Zug oder Flugzeug unternommen worden ist. Die Reisekilometer werden in CO2- Äquivalente umgerechnet und für jede Klasse wird der Durchschnitt ermittelt. Ende Schuljahr wird die Klasse mit dem kleinsten Pro-Kopf-Ausstoss als Belohnung in ein ökologisch- nachhaltiges Restaurant eingeladen. Momentan führt die Klasse 5d mit einer durchschnittlichen Emission von 141,8 kg CO2 pro Schülerin. Zum Vergleich: Das klimaverträgliche Jahresbudget eines Menschen beträgt 600 kg CO2. Die Klasse ist also ökologisch gut unterwegs. Die anonymisierten Daten eignen sich darüber hinaus im Unterricht hervorragend für Diskussionen über naturwissenschaftliche Diagramme und als Einstiege in Nachhaltigkeitsthemen.  

Weil das Thema „Nachhaltigkeit“ absolut zentral ist, erhält es schon in der 1. Klasse einen prominenten Spezialtag, zusätzlich zum Fachstundenplan. An diesem Tag befassen wir uns vertieft und ausschliesslich mit Umweltthemen. Unterstützt werden wir durch die professionelle, auf Nachhaltigkeit spezialisierte Organisation Praktischer Umweltschutz (PUSCH). Dabei stehen die Themen „Wasser“, „Energie“, „Klima“, „Abfall“ oder „Konsum“ im Mittelpunkt eines halbtägigen Workshops. Ergänzt wird dieser durch eine Exkursion in eine Kehrichtverbrennungsanlage, eine Kläranlage oder an einen anderen Ort, der für eine nachhaltige Zukunft wichtig ist. 

Koordinationsstelle Klimakonferenz

 

Im August 2021 wurde gemeinsam vom LG, RG und MNG eine Koordinationsstelle ins Leben gerufen, um Schülerengagement, Aktivitäten und Informationen rund um die Klimakrise auf dem Campus Rämibühl zu bündeln und zu koordinieren.  

Der entscheidende Impuls kam im Herbst 2019. Damals fegte ein grüner Sturm über den Campus Rämibühl! Inspiriert durch die Klimabewegung Fridays for Future gingen viele unserer Schülerinnen und Schüler auf die Strasse, engagierten sich lautstark für das Klima und organisierten eine Klimakonferenz. Das Engagement zeigte schon nach kurzer Zeit grosse Wirkung. Wie bereits erwähnt, wurden Flugreisen in Arbeitswochen gestrichen, in der Mensa wurde das vegetarische Menüangebot ausgebaut, Mehrweg-Becher und -TakeawayBoxen eingeführt, das Heizungs- und Beleuchtungsregime in den Gebäuden optimiert. Zudem lud man den Klimaforscher Prof. Dr. Reto Knutti für ein Referat in die Aula ein.

Auch heute möchten und sollen sich viele Schülerinnen, Schüler und Lehrpersonen engagieren. Die Koordinationsstelle will helfen, dass die permanente Dringlichkeit der Klimakrise nicht im zentralen und oft übervollen Schulalltag untergeht. Die Kerngruppe besteht dem Geographielehrer Patrik Weiss (RG), dem Geschichtslehrer Sebastian Egli (MNG) und mir (Lorenz Leumann, LG). Wir sorgen für Kontinuität, wissen Bescheid, was an den jeweiligen Schulen läuft, und bringen verschiedene Perspektiven aus unseren Fachrichtungen ein.

Momentan bauen wir eine Homepage auf und planen für Mai 2022 eine schulübergreifende Ausstellung zum Thema „Food und Foodwaste“ in den Eingangshallen. Die Ausstellung wird von zwei 3. Klassen des LG und Lehrpersonen für Bildnerisches Gestalten umgesetzt. Eine jährliche Ausstellung zu einem Umweltthema soll fortan fester Bestandteil der drei Rämibühlschulen sein. Ergänzt wird die Ausstellung durch wissenschaftliche Referate und die Food for Future-Olympiade.  

Dringend. Bitte. Alle. Die Zukunft braucht uns! Schülerinnen und Schüler, Lehrpersonen, Personal und Eltern. Lassen wir uns durch das Engagement der Generation der Zukunft inspirieren und fördern wir dieses zu Hause und in der Schule. Die Weichenstellungen sind in den nächsten Jahren entscheidend wie nie zuvor! Noch wichtiger als jedes Schulfach ist die Frage, ob und wie es uns gelingt, die Klimakrise zu bewältigen.
 


Lorenz Leumann unterrichtet am LG Biologie und das Freifach Klima.
Er ist Co-Leiter der schulübergreifenden Klimakonferenz Rämibühl.

Illustration Head: Leon Timonine (Matura 2021), Papierschnitt und Acryspray auf Papier.
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Footer: Louis Habegger (5a)  

Quellen