BEGEGNUNG

TWITTERBEEF MIT NACH­GESCHMACK

 

von Lucas Gächer und Vincenzo Togni


Ganz entspannt läuft Mike Müller durch die Gänge des Literargymnasiums im Frühling 2022. Es erwartet ihn im Zimmer 315 die damalige Klasse 6a, die sich mit dem Thema „Satire und Meinungsäusserung in den sozialen Medien“ auseinandergesetzt hat.
Mike Müller ist ein bekannter Medienprofi und Satiriker. Ein Experte. Ihm gegenüber eine jüngere Generation: Maturand:innen, die – beinahe alle – täglich und teils exzessiv Social Media nutzen – wir sind „digital Natives“. Und Mike Müller? So viel sei bereits gesagt: Auch der Komiker verwendet die sozialen Medien, um seine Meinung regelmässig zu äussern.
Mike Müller wirkt entspannt, als er uns erzählt, wie er seine Bühnenprogramme, seine Satire-Beiträge auf YouTube konzipiert. Es gibt keine Schranken, wir duzen uns – als sässe uns gegenüber ein alter Bekannter, der aus dem Nähkästchen plaudert. Es ist interessant, seine Meinungen und Einschätzungen zur Satire, zum Umgangston in der Komiker-Branche und zum Wandel der Zeit zu erfahren – explizit betrifft dies den Umgangston auf Twitter sowie die sogenannte Woke-Culture. Wir wollen wissen, wie Mike Müller Satire auf den sozialen Medien betreibt. Trifft ein Mann, der 40 Lebensjahre mehr durchlebte als seine heutigen Gesprächspartner, noch den für Social Media adäquaten Witz? Der SVP-Politiker Christoph Mörgeli veröffentlichte einen Tweet, in welchem er darauf anspielt, dass die SP-Politikerin Jacqueline Badran, als sie sich krank schreiben liess, Glück bei der Arztwahl hatte. Mörgelis Kommentar: «Wie heisst eigentlich der Auszeit-Hausarzt von Jacqueline Badran? Ich bin überzeugt, die Hälfte der Schweiz möchte ihn auch gerne konsultieren.» Auf diesen geschmackslosen Tweet antwortete Müller wie folgt: «Mörgelis Arzt hätte nach dessen schlimmen Autounfall besser dafür gesorgt, dass die Kacke bei ihm wieder am richtigen Ort rauskommt.» Diese Antwort sorgte für heftige Reaktionen im Netz. Ist das noch als Witz eines Komikers zu verstehen oder nur noch eine verbale Ohrfeige? Bereut Müller diesen Tweet? «Ja, das Wort ‚Kacke‘ würde ich so nicht mehr verwenden.» Müller fügt an, dass er solche Tweets nicht als Komik verstehe, sondern den Kanal und seine eigene Position auch nutze, um Meinungen zu äussern. Es stellt sich für uns die Frage: Wie weit kann man gehen? Denn es ist unumstritten, dass der Umgangston Einfluss darauf hat, wie man Probleme bespricht, aufeinander zugeht. Der Ton macht die Musik. Im Internet rückt die Schönheit der Sprache immer mehr in den Hintergrund. Die Anonymität des Internets verleiht vielen User:innen, welche sich in ihrem Alltag marginalisiert fühlen, einen imaginierten Schutz vor Konsequenzen.
Wie man sieht, sind die sozialen Medien für Mike Müller kein Neuland. Nach einer kurzen Suche im Netz kann man feststellen, dass er viel Nutzen aus diesem Medium zieht. So postet er gelegentlich Clips auf YouTube oder auch auf Instagram, insofern diese nicht die Ein-Minuten-Marke überschreiten. Diese Grenzen, die die jeweiligen Plattformen stellen, sind automatisch ein Zünder für Müllers Kreativität. So gibt er besonders acht, in welchem Format und somit auch auf welcher Plattform er sein Schaffen veröffentlichen will. Doch wie sieht denn so ein Video aus?
 
 

Auf seinem YouTube Kanal „Mike Müller lateandearly“ befinden sich über 20 solcher Videos. Es sind alles neuere Erscheinungen, welche unabhängig von anderen Medienunternehmen wie zum Beispiel dem „Schweizerischen Radio und Fernsehen“ hochgeladen worden sind. Kreiert worden ist der Kanal im Coronajahr 2020. Deshalb behandeln – wenig überraschend – die meisten Videos das Virus und die gesellschaftlichen Folgen der Pandemie. Wie eine Art von Homeoffice-Satire wirken diese Videos. Der meistangeschaute Inhalt des Kanals ist der Clip „Wermelinger impft“, in welchem sich Mike Müller als Figur Artur Wermelinger, ausgestattet mit blauer Mütze und Stumpen im Mund, über die Impfsituation auslässt. Den Grossteil des Videos spricht er auf Mundart und nur für ein kleines Sprichwort, «Frauen sterben, kein Verderben, Kuh verrecken, grosser Schrecken», wechselt er wieder ins Hochdeutsche. Äusserst derb unterstreicht dieser Satz das Klischee des Schweizer Bauern, der nicht ganz versteht, wieso er sich auf seinem gottverlassenen Bauernhof impfen lassen soll. Dazu erzählt Wermelinger, dass ihm der Zugang zu seinem Wunderimpfmittel „Sputnik-5“ nur geglückt sei, da er beim Tierarzt nach „Beamtenschweiss“ gefragt habe. Da dieser so selten vorkomme, eigne es sich gut für ein Codewort.
In 1 Minute und 32 Sekunden gelingt Mike Müller auf diese Weise humorvoll ein ernstes aktuelles Thema zu behandeln, aber auch die Figur Wermelinger in Szene zu setzen. Dabei fällt auf, wie zeitlos der Humor ist. Auch wenn der Name Mike Müller in den Kreisen der Jugendlichen nicht gleich präsent ist wie bei unseren Eltern, wirken die Witze und Sprüche kaum veraltet. Das Klischee des Bauern, das Müller hier spielt, ist eines, dass auch oftmals von uns und unseren Freunden benutzt wird. Was subjektiv betrachtet das Beste an dieser Nummer ist: Der Witz spricht jeden an. Man muss weder ein Raketenphysiker sein noch ein Magna cum laude in seiner Dissertation erhalten haben, um dies witzig zu finden. Auch wenn man sich an gewissen Stellen angegriffen fühlt, kann man sich an der nächsten Stelle bereits wieder amüsieren. Das und die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, macht den Auftritt von Mike Müller sympathisch.

 


Es kommt also etwas überraschend, wenn Mike Müller uns von den Schmähkampagnen gegen ihn erzählt. Es scheint, als ob nicht jeder Müllers Sprüche auf Twitter und auf YouTube mit gleich viel Humor begegnet. «Ich kenne Cancel-Culture nur von rechts und dabei spielt bei mir eine Rolle, ob es sich um einen organisierten Angriff oder eine Kritik ad personam handelt», sagt Mike Müller. Ein Beispiel sind zudem die Coronalügner, welche bis vor ein paar Monaten noch eine ernstzunehmende Gefahr darstellten: «Den Schwurblern ist kein Kraut gewachsen, bei ihnen bin ich Public-Enemy-Nummer-Eins.» International geht man Mike Müller ebenfalls an die Gurgel: «Auch erfahre ich Angriffe von der AfD, welche im Bett ist mit Roger Köppel. Wenn das passiert, kann ich mein E-Mail-Portal für ein paar Tage nicht mehr benutzen.» Es mag nun den einen oder anderen überraschen, dass ein Satiriker für seine Witze angegriffen wird. Diese Angriffe sind laut Müller selten spontan und entstehen durch die organisierte Mobilisierung des rechten Politspektrums. Das Phänomen „Shitstorm“ kann von jeder Seite kommen. Während diese in den USA in der öffentlichen Wahrnehmung oft von Leuten aus der politisch linken Szene losgetreten werden, zeigt Mike Müllers Fall, dass diese „Internetwaffe“ sehr wohl auch auf der Gegenseite verwendet wird.

Er hat jedoch, solange kein organisierter Mob dahintersteckt, keine Probleme mit Kritik an seiner Person. Er vergleicht unsere Generation mit seiner: «Das wird wohl eure Generation leicht anders sehen als meine, denn wir kommen aus einer Zeit, wo es unter gewissen Umständen üblich war, auf Personen zu schiessen, und das ist etwas, was ich ok finde – bis zu einem gewissen Grad.»

Wenn man Mike Müller direkt auf unsere Generation anspricht, denkt er an Begriffe wie Wokeness und Gendersternchen. Er schätzt es, dass die Entscheidungsträger:innen von heute, auch auf Grund des Drucks unserer Generation, sich mit solchen Themen beschäftigen müssen. Durch diese – auch aus unserer Sicht – wichtige Diskussion seien Missbrauchsfälle ans Licht gekommen. „Me too“ nennt er etwa als Stichwort. Allzu weit will er sich aber auch nicht aus dem Fenster lehnen. «Schlussendlich ist das eine Frage, die ich nur in bestimmten Grenzen beantworten möchte.» Dies ist in Ordnung, denn unsere Generation muss sich mit diesen Themen auseinandersetzen. Unsere Gesellschaft sollte, ja muss, heutzutage in der Lage sein, ein Sternchen zwischen männlichen und weiblichen Substantiven zu setzen. Jede Generation sollte sich von verstaubten und nicht mehr zeitgemässen Phänomenen lösen. Generationen vor unserer Gen-Z konnten das. Unsere Denkanstösse: Lasst uns das Gendersternchen oder den Genderdoppelpunkt auch in kurzen Kommentaren und Social Media-Posts benutzen. Lasst uns – so kitschig dies auch klingen mag – Beleidigungen und Schmähungen in Zukunft vermeiden. Es liegt an uns, im Internet, und insbesondere auf Social Media, einen gesunden Sprachstil im zu pflegen. Am besten immer mit etwas Satire und Humor. Im Sinne Hanspeter Burris sagen wir: «Fertig!»
 


Lucas Gächter und Vincenzo Togni waren Schüler der Klasse 6a.
Bilder: David Diehl