SCHLUSSWORT

Von Sinn und Unsinn

 

von Sora Ritzmann

 

Wenn ich den Sinn des Lebens definieren müsste, dann wäre er, möglichst viel Glück in die Welt zu bringen, für mich selbst und für andere. Natürlich habe ich darüber nicht genug nachgedacht, um mit Menschen mitzuhalten, die sich ein Leben lang den Kopf über der Frage zerbrochen haben. Trotzdem: Ich finde, das ist ein ziemlich pragmatischer Ansatz.
Nun gibt es aber ein Problem: Ich lebe überhaupt nicht danach. Immerhin, ich selbst würde mich als ziemlich glücklich beschreiben. Aber Glück in die Welt bringen? Überlegen wir mal: Meinen Eltern bereite ich immer wieder Ärger, aber wohl mehr Freude, ebenso meiner
Schwester. Meinen Freund:innen, hoffe ich – meinen Mitmenschen? Ich weiss es nicht. Dazu kommt, dass ich von vielen weiss, denen ich, wenn, dann Unglück bereite. Es ist ja auch eher schwer, in dieser langweiligen, gemütlichen, perfekten, aber ganz und gar nicht harmlosen Schweiz so zu leben, dass niemand – anderswo natürlich – deswegen leidet. Essen muss ja zum Beispiel gekauft werden, Kleidung. Und man weiss, dass irgendwo jemand diese Güter herstellen muss und dass die Produktion in den wenigsten Fällen auf gerechte Weise geschieht.
Man kauft von Labels, die es eigentlich besser machen müssten, es mindestens behaupten, lernt, dass sie nicht vertrauenswürdig sind. Regt sich auf, kauft die Labels doch, gegen das schlechte Gewissen, wenn ich viel Geld dafür ausgegeben habe, dann muss es doch gut sein, oder?
Es gibt aber auch kaum Optionen, wirklich sicher zu sein, dass man niemandem schadet mit seinem Konsum. Beziehungsweise eigentlich weiss man immer, dass man irgendjemandem schadet, denn die Klimakatastrophe gibt es ja auch noch, und Konsum ist da nicht sehr hilfreich.
Ausserdem weiss man aber auch, dass kein Konsum eigentlich auch keine Option ist, denn die Wirtschaft, wie gerne betont wird, ist so ziemlich unser ganzes Leben.

Wozu führt das Ganze also? Zu schlechtem Gewissen, zu Unglück und sonst zu gar nichts. Ich will nicht jammern, ich tue es trotzdem. Ich will niemandem Schlechtes tun, weder direkt noch indirekt, ich tue es trotzdem, beides. Was ich aber vor allem nicht will, ist, diesen Text darüber zu schreiben, wie arm ich bin, weil ich immerzu anderen schaden muss, und ich weigere mich jetzt, es zu tun.
Worüber schreibe ich also? Wir waren beim Sinn des Lebens, Definition siehe oben. Das Einfachste wäre jetzt, dem Sinn den Krieg zu erklären, einfach zu schreiben, dass sinnvolles Leben überbewertet sei und man sich keine Gedanken über die ganzen Probleme machen solle, weil man ja sowieso nichts ändern kann. Das wäre elegant, pointiert und angenehm beruhigend. Das ist aber leider überhaupt nicht, was ich tun will.

Ich finde nämlich meine Definition immer noch gut und habe auch vor, danach zu leben. Wenn ich wirklich nur das kaufe, von dem ich weiss, dass niemand darunter leidet, oder allerwenigstens nur das, von dem ich nicht weiss, dass es jemandem schadet – ausser, wenn es wirklich nicht anders geht –, dann löse ich bei mir selbst gleich noch das klimabedingte Konsumproblem. So viel gibt es nämlich gar nicht, was ich dann noch konsumieren könnte. Eine Wirtschaft, die ausbeutet, will ich ausserdem nicht unterstützen, von dem her ist das kein Argument.
Jetzt kann ich mich also zurücklehnen und auf die Kommentare darüber warten, wie eingebildet ich sei und dass ich das sowieso nur so sage und mich besser fühlen wolle. Klar können sich diese Einstellung nicht alle leisten. Und natürlich will ich mich besser fühlen, das ist der ganze Sinn dieser Überlegungen. Aber nicht besser als andere, sondern nur besser, als ich mich fühle. Und natürlich werde ich es auch niemals ganz schaffen,
denn es ist einfach zu leicht, sich nicht ständig zu hinterfragen. Aber ich habe den festen Vorsatz, und ich weigere mich, mich dem «vollständig geht nicht, darum probier’s schon gar nicht» zu ergeben.
Sie sehen also, ich habe mir doch ziemlich viele Gedanken zu meiner Definition gemacht. Weil ich nicht einfach gefragt wurde, sondern mich selbst gefragt habe und mich nicht mit einer Floskel zufriedengeben will.

Und dies, hoffe ich, tun jetzt auch Sie.

 


Sora Ritzmann ist Schülerin der Klasse 6a.
Dieser Text erschien erstmals am 24.10.2021 im Magazin der NZZ am Sonntag.

Illustrationen: Fynn Steiner (5a)