GEDANKEN

Neubeginn am Nullpunkt

 

Von Sabina Aeschlimann, Joachim Aeschlimann und Daniel Riniker

 

Auch die AG Theater blieb von den unsicheren Zeiten nicht verschont. Das Projekt 2021 NULLPUNKT ist aber kein Schlusspunkt, sondern Neubeginn einer hoffnungsvolleren Zeit. In diesem Jahr hat die AG Theater ein Projekt mit Videoprojektionen und Installationen umgesetzt.
Der Anfang eines neuen Theaterprojekts ist auch immer der Beginn eines gemeinsamen Abenteuers. Dass Theaterspielen dieses Jahr eine besonders abenteuerliche Reise bedeuten würde, war allen bewusst: Proben und Aufführungen mit Masken, Abstand und der konstanten Unsicherheit ob und wie es weitergehen würde. So kristallisierte sich ein gemeinsamer Nenner heraus, als das Ensemble der AG Theater im Sommer 2020 über die Möglichkeiten für das nächste Projekt nachdachte: Hoffnung.
Hoffnung auf eine einfachere Zeit, auf eine Zukunft ohne Pandemie, auf Nähe, Abenteuer und Freiheit. Hoffnung, dass alles wieder gut wird, aber nichts beim Alten bleibt. In einem demokratischen Prozess entschied sich das Ensemble für das Projekt NULLPUNKT. Dieser Nullpunkt steht gleichzeitig für Neuanfang und Rückbesinnung auf Geliebtes, für Vermisstes und Angestrebtes. Es ist nicht der Schlusspunkt, sondern der Neuanfang. Der Versuch, das leere Theater wieder mit Leben zu füllen, bedeutet für die AG Theater: Jetzt geht’s erst richtig los!

 

Ich will Liebe, Schokolade und ein Koalababy…
Glitzerstaub, Neonleuchten, Sternschnuppen und einen Katzen- und Hunderegen.
Alle haben sich lieb und Brachiosaurusrutschen.
Ich will eine Sinnflut, Schokoregen, Badeschaum, alles bricht zusammen und wir surfen auf dem Bullshit. Ich möchte den Umsturz, Umbruch, alles steht Kopf – Architektur ist jetzt kopfüber. Ich will vernünftige Deutschstunden.
Wir befinden uns in einer Explosion, ihr Ficker!

AG Theater, Zitat der Dramaturgiegruppe

 

Schnell war klar, dass NULLPUNKT kein gewöhnliches Theaterstück werden würde. Das experimentelle Forschen, Proben und Erproben führte die Arbeit vom Nullpunkt ausgehend in unterschiedliche Richtungen. Nicht zuletzt, um für alle pandemiebedingten Einschränkungen gewappnet zu sein, konzentrierten sich alle Spieler*innen auf sogenannte „Hoffnungsfelder“, die sie besonders interessierten und inspirierten. Vom NULLPUNKT aus suchte das Ensemble in sechs Stossrichtungen nach Hoffnung für die Zukunft. Und jedes dieser Hoffnungsfelder sollte in einer eigenen Performance und in einer eigenen Rauminstallation verhandelt, gezeigt und hinterfragt werden.

 

Am Anfang, welcher gleichzeitig das Ende sein wird, war die Gleichgültigkeit.
Der Mensch schwirrte im Nichts herum. Er war nur eine Idee, noch ganz ohne Entschluss.

AG Theater, Zitat UNIVERSUM

 

Schau der Mensch, wie er das Stück Papier dreht und fasst, wie er es knickt und presst. Der Mensch faltet Origami, hinterlässt sie Freunden auf den Spinden und für Freude beim Hausmeister. Schau der Mensch hat aus den Wäldern Papier gemacht, hat es bedruckt und geschnitten, um die Welt wieder abzubilden.
AG Theater, Zitat zu ECCE HOMO

 

I am not your damsel in distress!
AG Theater, Zitat zu HELD*IN

 

Du bist im Herzen des Waldes und zugleich am Grund des Meeres.  
AG Theater, Zitat zu SCHLARAFFENLAND

 

ich bin frei.
frei wie ein vogel.
frei wie ein traktor.
frei wie ein straßenschild.

AG Theater, Zitat zu WUNDERLAMPE

 

In der Unterhose auf einen Laternenpfahl klettern und herunter schreien. Ausrasten, Teller zerschlagen, in die Leere schreien! Ein Zimmer mit Farbe bespritzen, alles wissen und alles vergessen, Schneeballschlacht in der Schule, alles überwuchern und im Maisfeld liegen und zu Kompost werden.
AG Theater, Zitat zu REVOLUTION

 

Als während der Intensivproben im Frühling klar wurde, dass die Umstände keine Live-Performance zulassen würden, fühlte sich das zuerst wie ein Déjà-vu aus dem Vorjahr an, als das Projekt 2020 kurz vor dem Ziel vom Lockdown unterbrochen wurde. Glücklicherweise blieb aber dieses Jahr Gelegenheit, die Arbeit an NULLPUNKT zu sichern und alles in Bild und Ton festzuhalten. Während zwei Wochen wurden Performances adaptiert und gefilmt, Texte neu zusammengesetzt und aufgenommen. Anstelle von Abschlussproben standen Tonstudio, Drehtage und Filmsets auf dem Programm. Dabei geschah, was für alle zunächst unvorstellbar war: Die Masken fielen. Dank strenger Schutzmassnahmen und konsequenten Tests konnten die Filmsequenzen ohne Masken gedreht werden und zum ersten Mal seit Monaten sah das Ensemble die ganzen Gesichter ihrer Mitspieler*innen.
Das AG Theater Projekt 2021 wurde im August als performative Ausstellung dem Publikum präsentiert. Aus dem produzierten Material entstand eine Serie von Installationen, die in den ursprünglich angedachten Räumen der sechs Hoffnungsfelder begangen werden konnten. Etwas später als gedacht, aber mindestens so spannend, erfüllte sich damit die eine Hoffnung, die das Ensemble und das Team die ganze Zeit angetrieben hatte: Endlich wieder das Theater mit Menschen, Hoffnungen und Visionen zu füllen. Reclaim the Theatre!

 

 


Sabina Aeschlimann, Joachim Aeschlimann und Daniel Riniker sind die Co-Leitung der AG Theater Rämibühl.