GEDANKEN

Wer war ich? Wer bin ich? Wer möchte ich sein?

 

von Anna-Lena Breitenmoser

 

Eine Ewigkeit – so scheint es mir - ist es her, seit ich zum ersten Mal an der schweren Eisentür rüttelte, welche den Weg zum LG versperrt. Schliesslich gelang es mir, nachdem ich in Erfahrung gebracht hatte, dass man eben «ziehen» und nicht «stossen» musste, die Türe zu öffnen, Einlass wurde gewährt und die Odyssee begann.

Wer ich damals war, das ist jetzt rückblickend einfach zu beschreiben; neugierig, stolz und dankbar nun das von mir so glorreich erträumte LG besuchen zu dürfen. Vor allem war ich aber eines, ein Kind. Ich machte mir nicht gross Gedanken, was später aus mir werden würde. Das LG stellte einen Abschnitt auf meinem Weg dar. Wohin dieser Weg führen würde, das war noch kein Thema. Irgendetwas würde schon aus mir werden. Ich freute mich auf die kommende Zeit. Das LG symbolisierte für mich die grosse, weite Welt, die mir nun zu Füssen lag und die nur darauf wartete, erobert zu werden.

Ich bin vor Kurzem 18 geworden. Achtzehn ist keine grosse Zahl. Man bedenke dabei, dass ich somit einen Drittel meines ganzen Daseins am LG verbracht habe. Ich habe gelernt, viel gelernt, nicht nur Schulstoff, auch für das Leben. Den Pythagoras – auf den kann man sich stets verlassen, nicht immer aber auf die Menschen. Zu priorisieren – nicht nur die Argumente in einem Aufsatz, sondern auch die wichtigen Dinge im Leben. Ich habe gelernt, mich auszudrücken, Gespräche zu führen, zu debattieren und vorzutragen – in verschiedenen Sprachen sogar. Napoleon kapitulierte, ich nicht!

Meine kindliche Naivität wich jedoch allmählich der Wirklichkeit.

Es gestaltet sich wesentlich schwieriger zu bestimmen, wer ich jetzt bin. Mit den Jahren und der einhergehenden Reife beginnt man zu denken, zu hinterfragen, zu zweifeln. Man sagt seine Meinung – auch ungefragt. Wenn dies mit einem strengen Blick der Lehrerin und einer Strafstunde quittiert wird, so lernt man, dass es manchmal besser ist, den Mund zu halten und still zu sein. Das Leben ist nicht mehr so trivial, wie es einmal war.
So bin ich nun. Sechs Jahre LG haben mich geprägt und mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin.

Wenn bald die schwere Eisentür ein letztes Mal hinter mir ins Schloss fällt, werde ich nur erahnen können, wer ich sein werde. Wer ich sein will, ist aber klar. Ich will studieren, mein Wissen vertiefen, noch mehr lernen, etwas Sinnvolles tun, Menschen helfen, andere Länder und Sitten kennenlernen, zufrieden sein, als Frau Karriere und Familie miteinander vereinbaren, grosszügig denken…
Mein Rucksack ist voll von Erfahrungen, Wissen und Lebensweisheiten, die das LG mir mit auf den Weg gibt. Wahrlich war das Literargymnasium Rämibühl nicht die grosse, weite Welt – diese liegt wohl noch vor mir. Die Odyssee geht weiter.

Abwarten

von Josefine Hug

 

Als ich vor sechs Jahren das erste Mal Fuss gesetzte hatte ins LG, war ich Dieselbe, die ich heute bin, nur kleiner. Nicht von Grösse her – bin seit zwölf gleich gross, früher immer die Grösste, jetzt klein – sondern eben noch ein Kind. Kleiner im Geiste sozusagen. Alles war ganz ungefestigt und ich hatte ja keinen Plan. Von nichts. Heute noch immer nicht von viel, aber mehr. Ein bisschen was ist schon hängengeblieben.

Alles war jedenfalls unvertraut und neu damals. Ich war oft am Handy, viel zu oft, unsere Klasse sass wie eine Schar überforderter Hühner nebeneinander auf den Bänklis draussen vor dem Zimmer 214 und gamte kollektiv. Rückblickend stelle ich fest, dass das Handy damals in gewisser Weise für gewisse Leute die Funktion einer Zigi erfüllt hatte: Ein verlässlicher Gefährte mit haltgebender Funktion, der erheblich zu deiner Coolness beiträgt.  
Ich war unsicher, leicht naiv und etwas zu motiviert. Fühlte mich alt und reif und gross, quietschte aber mit den Schuhsohlen auf dem Boden rum, rannte durch die Gänge und verhielt mich absolut nervaufreibend. Der wohl grösste Unterschied zwischen erster und sechster Klasse im Gymi ist die Vitalität, die sich mit den Jahren im Sand verläuft. Die Neulinge scheinen vor Tatendrang überzulaufen, während wir Maturand:innen, die Kleinen mit verachtenden Blicken strafend, die Tage zählen, bis wir hier raus sind.  

Ich träumte nie viel, doch wenn, dann vom Danach. Das LG, das Gymi als Zwischenstufe zu einem Zustand der Gewissheit, ein Sprungbrett. Und das Wasser ist die Postmaturzeit. So sah ich die mir bevorstehenden Jahre. Eine Zeit, dich ich hinter mich zu bringen hatte.
Nun, da sich immer häufiger und immer aufdringlicher die Frage nach dem Wasser stellt – wie blau ist es, wie tief? Wie philosophisch das Studium, wie permanent das Zwischenjahr? Wie weiter, was tun? –, bereue ich diese Einstellung zutiefst.  

Man nehme das Sinnbild eines Häftlings, welcher entlassen wird, und sich aus lauter Überforderung mit der Aussenwelt beinahe schon zurück in die Gefangenschaft sehnt, und ersetze jetzt Häftling durch mich, Aussenwelt durch das Leben nach der Matura und Gefangenschaft durch das LG Rämibühl, so beschreibt das in etwa, wie ich mir realistischer weise meine baldige Situation vorstelle.  

Denn die Frage nach meinem Leben in 10 Jahren wirft mich aus dem Konzept. Es ist mir absolut unvorstellbar mir vorstellen zu können, wie mein Leben in einer Dekade auszusehen hat. Wissen, was ich tun will, liegt ausserhalb meines Kompetenzbereiches. Weit ausserhalb. Ich könnte natürlich träumen, aber das mache ich grundsätzlich nicht. Ich warte lieber ab. Warte ab, bis mein genussvolles Leben in Wien, mein abgeschlossenes Studium, sowie mein abgebrochenes, meine mich erfüllende Geldeinnahmequelle, meine gestillten Reiselüste und ganz grundsätzlich mein sehr fesselndes, gelassenes, und trotzdem bewegtes, von Café- und Kinobesuchen geprägtes Dasein seinen Weg zu mir findet.  

Eine schlendernde Existenz, nicht träge. Geniessend. An einem Ort, der mir gefällt mit Menschen, die mir gefallen. Ich warte ab.

 

In The Middle Of The Road

Von Luisa Schönenberger

 

Jung, interessiert, voller Lebensfreude und Energie, aber auch minimalistisch und ungeduldig – das war ich wohl vor sechs Jahren, als ich das erste Mal voller Stolz und Zuversicht das LG betrat. Damals war ich überzeugt, endlich das langersehnte Ziel eines weiten und nicht immer gradlinigen Wegs erreicht zu haben: Das Gymi!  

Als die Frage nach dem «wie weiter» am Ende der 5. Primarklasse erstmals aufkam, aber auch später, als ich mich bereits fürs Gymi entschieden hatte, bekam ich gewisse Sätze immer wieder zu hören: Ob ich mir bewusst sei, was das Gymi fordere, und ob ich diesen Weg wirklich einschlagen wolle. Man müsse ausdauernd sowie fleissig sein und auch mal am freien Nachmittag büffeln, anstatt draussen zu spielen oder den zahlreichen Hobbies nachzugehen. Die Gymivorbereitung verlief unbestritten etwas harzig und war von Minimalismus geprägt. Nichts brachte mich jedoch von meinem Ziel ab: Ich gehe ans Gymi und werde Neonatologin, ein Beruf, bei dem ich den Babys helfen kann.  

Mein starker Wille siegte und ich bestand die Gymiprüfung mit der Tiefstnote 4.5. Der erste Schritt Richtung Medizinstudium war geschafft! Durch die anschliessende Probezeit verblassten die anfänglichen Erleichterungsgefühle jedoch rasch. Rot auf weiss wurde mir zu verstehen gegeben, wie weit sich der Weg noch zieht bis zum Horizont. Mit der Zeit spielten sich jedoch gewisse Routinen ein und das Rot verwandelte sich zunehmend in Grün. Nicht schliesslich dank meines grossen Ehrgeizes bestand ich die Probezeit mit soliden 5.5 Pluspunkten.

Mit jeder neuen Woche am LG wurde mir klarer: Das Gymi war genau der richtige Entscheid für mich gewesen. Die Schulzeit nahm ihren Lauf, weitere Routinen und Gewohnheiten spielten sich ein. Während ich persönlich älter, reifer und fleissiger wurde, wurde auch der Schulstoff schwieriger. Diese beiden Entwicklungen erwiesen sich als kompatibel, wodurch meine Noten von Semester zu Semester besser wurden. Zumindest in jenen Fächern, die nichts mit Mathematik am Hut haben. Nicht nur ich persönlich und meine Schulnoten veränderten sich laufend, sondern auch meine Berufsvorstellungen. Von Primarlehrerin über Juristin bis hin zu Diplomatin war alles mit dabei.  

Nun bin ich mittendrin, im letzten Jahr am LG. Die Gymizeit verging wie im Flug – Höhen- und Tiefenflug. Sechs strenge, lehrreiche und doch durchaus schöne Jahre, die von zahlreichen tollen, aber auch miesen Erfahrungen geprägt waren, neigen sich dem Ende zu. Die Matura steht vor der Tür. Ich blicke mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf das Ende der Schulzeit am LG. Ich verspüre ein Gefühl der Erleichterung, bald ist es geschafft, und gleichzeitig möchte ich mein vertrautes Umfeld nicht verlassen. Ich frage mich, wie mein Leben wohl nach der Schule aussehen wird. Wo werde ich sein, was werde ich tun? Doch zuerst stehen die Maturitätsprüfungen an, ich bin nervös. Gleichzeitig platze ich fast an Vorfreude auf die bevorstehende Maturareise und bin voller Enthusiasmus am Mitgestalten der Maturazeitung. Erleichterung, Respekt, Vorfreude, Angst und Nervosität – genau wie nach der bestandenen Gymiprüfung. Mir wurde klar, das Ende des Wegs existiert nicht. Der Weg des Lebens formt sich nach und nach, beeinflusst durch den Menschenwillen. Manchmal geht er über Berge und manchmal durch Täler. Man durchläuft Tag und Nacht, Winter und Sommer.

Wie mein persönlicher, individueller Weg auch verlaufen mag – ich bin dem LG dankbar für die robusten Schuhe, die mich auf den verschiedenen Wegabschnitten tragen werden.

 


Die Gymnasialzeit von Anna-Lena Breitenmoser (6d), Josefine Hug (6c)  und Luisa Schönenberger (6d) endet in wenigen Wochen.
Illustrationen: David Manfredini, Noah Kraljevic-Feucht, Leoluca Szalay, Jonathan Manell (alle 5a)