SCHLUSSWORT
LOST IN INSTAGRAM
von Faida Kazi
Ein Tierchen mit flauschigem Fell massiert sich mit seinen Pfoten verträumt die Wangen. Das Video, welches ich von meiner Schwester bekommen habe, zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht und ich schicke es meiner Freundin weiter. Anschliessend klicke ich mich weiter durch die Storys. Viele verbringen den Abend draussen am Zürichsee oder an den Ufern der Limmat. Ich sehe, wie sie zusammensitzen und den lauen Sommerabend in vollen Zügen geniessen.
Ein Post nach dem anderen ist zu sehen. Mein Feed abwechslungsreich. Da sind die Posts vom Klimastreikkanal: „system change NOW“ oder „Nicht mit uns!“. Neben diesen und noch weiteren Ausrufen stehen auch Informationen über erneuerbare Energiequellen und aktuelle Abstimmungen, die unsere Umwelt beeinflussen. Meine Augen überfliegen die Tipps und Tricks, wie man im Alltag nachhaltiger sein kann, und dann gehen sie weiter. Bei den Bildern von einer Freundin, die gerade in Frankreich in einem Austausch ist, bleibe ich hängen. Ein Foto zeigt sie mit ihrer Gastfamilie, zusammen auf einer Wanderung. Der Himmel ist strahlend blau und sie alle tragen klobige Wanderschuhe und bunte Windjacken, die stark auf die linke Seite geweht werden. Ich bewundere sie. Ein halbes Jahr bei einer fremden Familie zu verbringen, die eine andere Sprache spricht, ist beindruckend.
Die Neuigkeiten des Tages werden in wenigen Sätzen von SRF auf deren Kanal zusammengefasst. Ich folge verschiedenen Nachrichtenkanälen und überfliege die neusten Ereignisse im Russland-Ukraine-Krieg, lese die Beschreibung von Elefantenherpes in „Junger Elefant im Zoo Zürich an schwerer Krankheit gestorben“ und beginne ein Video zu schauen, in dem Joe Biden sich für mehr Sicherheit in den USA ausspricht.
Es finden sich die unterschiedlichsten Posts wieder. Ein Pärchen, welches auf der Brooklyn-Bridge steht und glücklich in die Kamera grinst, ist zu sehen. Das andere Bild zeigt eine junge Frau, die scheinbar allein die Welt bereist. Ich habe ihre Reise schon länger verfolgt. Von Frankreich über Columbien bis nach Afrika. Mir gefallen die bunten Bilder. Unser Planet ist so vielfältig. Hinterher folgen Aufforderungen zu mehr Klimaschutzmassnahmen, Feminismus und noch mehr Informationen über die neusten Kriegsereignisse des Russland-Ukraine Kriegs, die sich aneinanderreihen und mit der Zeit zu einem merkwürdigen Hintergrund zusammenschmelzen.
Draussen zieht die Welt an mir vorbei. Der Bus ist voll mit Menschen. Die meisten gucken wie ich konzentriert auf ihr Smartphone, völlig abgeschottet von der Realität. Die stickige Luft im Bus steigt mir in die Nase, wenn ich aussteige, gönne ich mir einen tiefen Atemzug. Ich lege mein Handy weg und betrachte die Leute um mich herum. Da ist eine elegant gekleidete Frau mit rot geschminkten Lippen und daneben ein Junge in Sportkleidern und Kopfhörern auf den Ohren. Ich frage mich, was der Junge gerade hört. Wohin ist die Frau wohl gerade unterwegs?
Mein Blick wandert weiter. Ich entdecke eine Gruppe von Anzugträgern, die munter miteinander plaudern. Für eine Weile versuche ich mitzuhören, doch sie sind zu weit weg und der Lautstärkepegel im Bus ist zu hoch. Ich gebe auf. Direkt gegenüber von mir sitzt eine junge Frau mit orange-rötlichen Haaren und bunten Kleidern. Möglicherweise sticht sie deswegen heraus. Mein Blick ruht auf ihr und ich frage mich, ob ich mich getrauen würde, mich in solchen Farben zu kleiden.
Kurz bevor der Bus meine Haltestelle erreicht, schaut die junge Frau auf. Ist ihr aufgefallen, dass ich sie angestarrt habe? Sie sieht mir in die Augen und schenkt mir ein Lächeln. Mit einem wohlig warmen Gefühl steige ich aus.
Laute Musik, das Blitzen des Lichts, die fliessenden Bewegungen lösen in mir ein unangenehmes Gefühl aus. Viele verschiedene Stimmen, die gemeinsam ein Lied anstimmen. Die bombastische Atmosphäre ist durch den Bildschirm spürbar. Sie verlässt den Bildschirm und packt mich. Es ist, als wäre ich dabei. Mein Herz schlägt schneller und auf meinen Lippen macht sich ein Grinsen breit. Dann ist die Story vorbei und zurückbleibt diese Leere. Dort, wo eben noch für wenige Sekunden diese ansteckende Partystimmung war, findet sich nun Enttäuschung wieder. Mein Gesicht fühlt sich merkwürdig schlaff an. Mein Körper will rennen, sich bewegen, doch ich bleibe liegen und starre and die Decke.
Ich stelle fest, dass ich mich nach einem Abenteuer sehne: Wann hatte ich das letzte Mal einen großartigen Abend mit meinen Freund:innen verbracht? Es ist Sommer und dementsprechend warm draussen. Weshalb bin ich nicht draussen? Aus irgendeinem Grund bleibe ich immer zu Hause. Wenn meine Freunde mich fragen, ob ich mit ihnen ausgehen möchte, schüttle ich meistens den Kopf in der Annahme, dass es mir zu viel sein würde. Ich fühle mich häufig energielos. Ist dieses Energieloch vielleicht da, weil ich nur noch zu Hause sitze und nichts mehr von der Welt sehe? Ich bin in einer miesen Stimmung. Es ist noch viel zu früh, doch ich verkrieche mich unter meine Decke und schliesse die Augen. Das Handy liegt ausgeschaltet in einer Schublade.
Unterschiedlichste Gefühle werden hervorgerufen, wenn ich das Leben von anderen Personen verfolge.
Freude und Traurigkeit. Vorfreude und Angst. Angst davor, mein eigenes Leben zu verpassen. Liebe und Eifersucht.
Während ich mir eine Story anschaue, läuft mein Leben weiter. Ich verbringe eine grosse Menge an Zeit damit, das Leben anderer anzuschauen. In diesen Momenten fühlt es sich oftmals nicht sehr gut an, all das zu sehen, was ich gerade nicht tue. Es ist wie ein verzogenes Spiegelbild. Wenn ich nicht viel mache, dann habe ich verständlicherweise Zeit, um auf Instagram zu sein, und es ist, als wäre mein Leben weniger interessant und bedeutsam wie das derjenigen, die ihres mit mir teilen.
Manchmal fühlt es sich an, als wäre ich in einem farblosen Traum gefangen. Ich sehe die Welt da draussen nur auf dieser Plattform, auf den Bildern und Videos anderer Benutzer:innen. Wie es sich wirklich anfühlt, da draussen zu sein, kann ich mir kaum vorstellen, da ich nicht weiss, wie ich aus diesem Traum erwachen kann.
Instagram kann mir das Gefühl von Zugehörigkeit und Verbundenheit schenken. Ich kann mich mit Menschen vernetzen, die gleiche Meinungen sind und mich austauschen.
In diesem Augenblick fällt mir der Aufruf zum Frauenstreik ins Auge. Ich schaue kurz auf das Datum, dann teile ich den Post mit meiner Freundin. In diesem Moment fühle ich mich stark. In mir blüht Zuversicht und Liebe auf. Für einen Moment fühlt sich alles machbar an.
Die Woche zieht sich dahin, doch endlich ist es so weit. Ehe ich mich versehe, finde ich mich zwischen Hunderten von Frauen, Mädchen, Jungen und Männer wieder. Die Farbe violett ist überall zu sehen. Die Musik steigt in die Luft und verschwindet irgendwo zwischen dem Blau des Himmels und dem Weiss der Wolken. Es wird geschrien und gesungen. Die Sonne prallt auf die Masse der Demonstrierenden herunter und lässt sie lila leuchten.
Die Sonne geht gerade unter. Meine Füsse schmerzen, doch auf meinem Gesicht liegt ein seliges Lächeln. Ich falle todmüde ins Bett. Mein Herz pocht noch immer und ich lasse den Tag noch einmal Revue passieren.
Als meine Augen zufallen, stelle ich fest, dass ich heute kaum an meinem Handy gewesen bin und ich es nicht einmal vermisst habe. Ich gewinne eine weitere Erkenntnis: Wenn ich den Tag nutze und mich dabei richtig lebendig fühle, geht er auch viel schneller vorüber. Es bleibt fast keine Zeit mehr, um das Leben anderer zu verfolgen.
Faida Kazi ist Schülerin der Klasse 5a.
Illustration: Lou Koerfer