KOMMENTAR

CRISPR FOR FUTURE

Oder würden Sie «Gentech-Bio-Gemüse» kaufen?

 

Von Marc-André Fröhlicher

 

«100 % Bio, 100 % ohne Gentechnik, 100 % gesund, 100 % pure goodness!»- – «Passt… und gekauft!» Kaufen Sie auch so ein? Dann sind Sie in guter Gesellschaft, aber eben auch Teil des Problems. Warum, fragen Sie sich? Um diese Frage zu beantworten, muss ich etwas ausholen.

Ein Knall, eine massive Druckwelle, ein Berg explodiert und Millionen von Tonnen Schwefelgas und Asche steigen in einer riesigen Wolke bis in die Stratosphäre – und dies über eine Woche lang. Mehr als 100 000 Menschen kamen im April 1815 in der Umgebung des Vulkans Tambora in Indonesien ums Leben. Doch auch die indirekten Auswirkungen auf das Weltklima hatten für einige Jahre verheerende Folgen: Das vulkanische Aschegemisch legte sich wie ein Schleier um die ganze Erde und führte zu Dürren in Asien und zu einem kalten, verregneten Sommer mit schweren Unwettern, Bodenfrost und Schneefall in Europa. Die Trauben mussten im November unreif geerntet werden. Kartoffelpflanzen wurden wegen der übermässigen Nässe vermehrt von Pilzen befallen und verrotteten auf den Feldern. 1815 ging als «Jahr ohne Sommer» in die Geschichte ein.  

Die Preise für Nahrungsmittel in der Schweiz waren bis zu sechsmal höher, zu einer Zeit, in der die meisten Menschen zwei Drittel des Einkommens für Nahrungsmittel aufwenden mussten! Die Menschen assen gedörrte Kartoffelschalen, Brei aus Knochenmehl oder zerriebenem Heu, Hunde und Katzen oder kauten an Baumrinden. In manchen Gemeinden verhungerten über 10 % der Bevölkerung. Andere versuchten, dem Elend zu entfliehen: Unter den hunderttausend europäischen Flüchtlingen, die verzweifelt nach Amerika oder Russland auswandern wollten, waren auch einige Schweizer. Viele von ihnen erreichten ihr Ziel nie, weil sie auf der Reise starben oder wegen Geldmangels zur Rückkehr gezwungen wurden.  

Doch was hat das Ganze mit uns heute beziehungsweise mit der Landwirtschaft der Zukunft zu tun? Der Vulkanausbruch vor rund 200 Jahren hatte durch eine temporäre Veränderung der weltweiten Temperatur von rund 0.5 °C Extremwetterereignisse zur Folge. Die Extremwetterereignisse unserer Zeit werden ebenfalls durch schnelle Veränderungen der globalen Temperatur verursacht. So steigt die Temperatur kontinuierlich um etwa 0.3° C pro Dekade, was bereits zu einem Anstieg von rund 1.3° C im Vergleich zur vorindustriellen Zeit geführt hat. Auch heute bedrohen häufige Extremwetterereignisse unsere Lebensmittelversorgung, doch ist es heute nicht die Naturgewalt, die für diese Entwicklung verantwortlich ist, sondern unser Lebensstil.

Die Frage nach den Anbaumethoden geht uns deshalb alle an. Nachhaltig, produktiv und günstig sollen sie sein, möglichst wenig Arbeit verursachen, Produkte in Spitzenqualität liefern – und gleich noch die Biodiversität fördern, quasi eine tanzende, eierlegende Wollmilchsau. Doch die verschiedenen Ansprüche werden sehr unterschiedlich gewichtet.  

Die intensive, industrielle Landwirtschaft, die mit schweren Maschinen die weitläufigen Monokulturen mit hohem Düngemittel- und Pestizideinsatz zu Höchstleistungen antreibt, spielt eine entscheidende Rolle für die Versorgung der Weltbevölkerung. Doch sie schädigt auch den Boden, verschmutzt die Gewässer, bedroht die Biodiversität und verbraucht Unmengen an fossilen Ressourcen. Das Problembewusstsein ist mit der fortschreitenden Zerstörung vieler Ökosysteme zwar gewachsen, doch die Bestrebungen für eine nachhaltigere Landwirtschaft sind noch lange nicht am Ziel.  

Auch die biologische Landwirtschaft konnte ihre Produktivität in den letzten Jahren steigern, bleibt aber deutlich hinter den Erträgen der intensiven, konventionellen Landwirtschaft zurück. Je nach Kultursorte fallen die Erträge 10 bis über 50 % kleiner aus, bei zu feuchter Witterung sind sie sogar noch geringer, da weniger Pestizide gegen Pilzerkrankungen verwendet werden können. Hier zeigt sich die Achillesverse des Biolandbaus: Tatsache ist, dass auch die biologische Landwirtschaft immer noch dringend auf das Fungizid Kupfer angewiesen ist, das sich im Boden anreichert und dort Einfluss auf die Zusammensetzung der Mikroorganismen hat. Ohne Kupfer wären im Biolandbau in feuchten Jahren, je nach Kultur, mit Ertrags- und Qualitätseinbussen von 40 bis zu 100 % zu rechnen!  

Die Fläche, die biologisch bewirtschaftet wird, nimmt nicht nur in der Schweiz (aktuell 17 %), sondern weltweit zu. Die EU möchte bis 2025 einen Viertel der landwirtschaftlich genutzten Fläche biologisch bewirtschaften. Und selbstverständlich wächst auch die Verantwortung für die Ernährung der Weltbevölkerung. Gleichzeitig nehmen die klimatischen Unwägbarkeiten zu. Die biologische Landwirtschaft ist demnach gefordert und muss zwingend innovative Lösungen entwickeln.

Im Rahmen der sogenannten Permakultur werden ökologische Synergien zwischen verschiedenen Nutzpflanzen und Tieren genutzt, indem mehrere Kulturen gleichzeitig auf einem Feld wachsen. Die Pflanzen profitieren voneinander und der Ertrag steigt. Doch es entsteht ein massiver Mehraufwand, der von Hand geleistet werden muss, da die Felder mit konventionellen Landmaschinen nicht geerntet werden können. An der automatisierten Pflege und Ernte tüftelt daher ein innovatives Start-up-Unternehmen gemeinsam mit Biolandwirten im Projekt Honesta.  

Einen anderen Ansatz liesse sich bei der Züchtung von Pflanzen verfolgen. Wildpflanzen und alte Gewächssorten, aus denen unsere heutigen Pflanzen gezüchtet wurden, besitzen natürliche Resistenzen gegen Pilzkrankheiten, haben aber auch nachteilige Eigenschaften, insbesondere kleinere Erträge. Moderne Hochleistungssorten haben im Laufe ihrer Züchtungsgeschichte viele Resistenzen gegen Krankheiten verloren, da sie lange auf die Bedürfnisse der konventionellen Landwirtschaft hin gezüchtet wurde, die wirksame Pestizide zur Verfügung hatte. Doch die Pestizide verlieren ihre Wirksamkeit, je länger und häufiger sie verwendet werden. Die Züchtung von ertragreichen Pflanzensorten, die sich für pestizidarme Anbaumethoden wie den Biolandbau eignen, müsste mehr gefördert werden.

Viele Resistenzen gegen Pilzkrankheiten in einer wirtschaftlich interessanten Sorte zu kombinieren, ist eine Herkulesaufgabe für die Züchtung, die unter den aktuellen Bedingungen nur sehr langsam voranschreitet, insbesondere im Obstbau, wo die Generationszeiten besonders lange sind. Kann es sich die Biozüchtung leisten, nur mit traditionellen Züchtungsverfahren auszukommen? Zwar nutzt auch die Forschung im Bereich des Biolandbaus moderne molekularbiologische Erkenntnisse und Nachweismethoden, um Züchtungsverfahren zu beschleunigen, aber die Anwendung einiger wirkungsvoller Züchtungsmethoden ist in der Biobewegung nach wie vor stark umstritten.  

Die relativ neue Genom-Editiertechnik CRISPR/Cas, für die 2020 der Nobelpreis in Chemie verliehen wurde, weckt diesbezüglich grosse Hoffnungen. Die Einfachheit und Präzision, mit welcher die sogenannte «Gen-Schere» das Genom verändert werden kann, setzt neue Massstäbe und übertrifft die bisher verfügbaren gentechnologischen Methoden bei weitem. Mit CRISPR lassen sich mit einem Bruchteil des Züchtungsaufwandes und der Kosten Resistenzgene aus Wildpflanzen oder resistenten Sorten in wirtschaftlich bedeutende Sorten einbringen. Dadurch könnten auch kleinere Züchtungsbetriebe gentechnologische Techniken anwenden, die vor allem wegen der hohen Kosten und aufgrund regulatorischer Hürden bisher praktisch nur von Weltkonzernen genutzt wurden.

In den letzten Jahrzehnten wurde die Anwendung der Gentechnik in der Landwirtschaft so eng mit den Agrochemiekonzernen verknüpft, dass Kritik an ihren wenig nachhaltigen Anbausystemen – auch wegen teilweise unsachlicher Kampagnen – zur pauschalen Ablehnung von gentechnischen Methoden geführt hat. Die Kritik an den Geschäftspraktiken der Agrochemiekonzerne ist jedoch nicht ungerechtfertigt. Es wäre an der Zeit, die Diskussion auf die problematische Gewährung allzu umfassender Patentrechte zu fokussieren und die gentechnischen Methoden aus der Geiselhaft zu befreien. Dass die gentechnischen Methoden längst nicht mehr als so unsicher gelten, hat ein gross angelegtes nationales Forschungsprogramm vor 10 Jahren gezeigt. Die Forderung wird daher lauter, Pflanzen mithilfe von CRISPR züchten zu dürfen, die auch durch die herkömmliche Kreuzungszüchtung hätten entstehen können. Nicht die Züchtungsmethode, sondern auch die individuellen Eigenschaften einer Züchtung sollten darüber entscheiden, ob eine Sorte zugelassen werde. Vor wenigen Monaten gründeten die Grossverteiler Migros und Coop, die einflussreiche Agrargenossenschaft Fenaco sowie die Obst-, Gemüse- und Kartoffelproduzenten den Verein «Sorten für morgen». Dieser fordert, dass die neuen Züchtungsmethoden unvoreingenommen wissenschaftlich überprüft und gegebenenfalls Ausnahmen vom Anbauverbot bewilligt werden. Hier zeichnet sich ein Meinungsumschwung ab, der Einfluss auf den Entscheid über die Verlängerung des Gentech-Moratoriums haben könnte, das bereits beschlossene Sache schien. Wenn CRISPR bald in der Züchtung für die konventionelle Landwirtschaft zugelassen werden sollte und die biologische Landwirtschaft diese Technik trotzdem nicht nutzen möchte, dann könnte sich vielleicht bald die skurrile Situation ergeben, dass ein Biobauer seine Kartoffelpflanzen regelmässig mit Kupfer besprühen muss, während die Krautfäule-resistenten Kartoffeln im konventionellen Feld nebenan ohne Fungizid auskommen. Dann würden sich die Konsumentinnen und Konsumenten wohl fragen, ob das Label «100 % Bio und 100 % ohne Gentechnik» noch ihrem Verständnis von nachhaltiger Landwirtschaft entspräche.

 


Marc-André Fröhlicher unterrichtet am LG Biologie.
Illustration Head: Chiara Spormann (5a), Öl auf Holz
Illustration 2: Louis Habegger (5a)

PODCAST: Grüne Gentechnik im Biolandbau

Zur Rolle, welche die Genschere CRISPR für die nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft haben könnte, produzierten die letztjährigen Maturandinnen Anna Zeller, Samira Grünenfelder und Gianna Moser im Rahmen des Biologieunterrichts einen Podcast.

Im Gespräch konfrontieren sie den ehemaligen Direktor des international führenden Forschungsinstitus für Biolandbau (FiBL) Prof. Dr. Urs Niggli mit Positionen von Marionna Schlatter, Nationalrätin und Präsidentin der Grünen Partei Zürich.