Portrait

Kringel und Linien

Lilith Hausheer

von Ava Briem


Draussen dunkelt es schon, die einzige Beleuchtung im Zimmer kommt von der kleinen Lampe, die auf dem Schreibtisch steht. Die noch weisse, leere Leinwand wird an der Wand positioniert, gesessen wird auf dem Boden. Die verschiedenen Pinsel liegen daneben, genauso wie die zufällig ausgesuchten Farben, die zu einer schönen Kombi zusammengemischt werden sollen. Im Hintergrund läuft entspannte Musik. Für die Grundierung wird auf einer kleinen Platte ein neutrales Beige angerührt, welches mit dem grössten der Pinsel in einer flüssigen Bewegung auf die Leinwand verteilt wird. Nachdem sie getrocknet ist, wird nachgedacht. «Meistens habe ich keine konkrete Idee, wie es am Schluss aussehen soll, aber dieses Bild war eines von fünf, welche ich für die Maturaarbeit gemalt habe. Ich wollte versuchen, die Emotionen eines Songs zu verbildlichen. Ich habe dann einfach mal drauflos gemalt, allerdings hat es mir anfangs und auch zwischendurch überhaupt nicht gefallen, aber das ist manchmal der Prozess.»

Lilith Hausheer ist grossgewachsen, die langen, dunkelbraunen Haare liegen offen auf den Schultern oder sind in einem Dutt hochgeklippt. Die vielen Ketten an ihrem Hals klackern gegeneinander, wenn sie an einem vorbei schreitet, genauso wie die schweren Silberringe an den eleganten, lackierten Fingern. Die Kleidung ist schwarz, meist ein wallendes Kleid, ein Rock, eine Hose. Wenn man ihr auf dem Gang begegnet, fällt sie einem ins Auge. «Ich finde es langweilig, wenn alle Leute gleich aussehen. Ich möchte grundsätzlich auch gerne in Erinnerung bleiben, manchmal aber auch ein bisschen provozieren. Es kommt in unserer Gesellschaft nämlich grundsätzlich sehr schnell vor, dass man in eine Schublade gesteckt wird und ich möchte diese Vorurteile stoppen. Am Ende ist es ja dann doch nur Kleidung!»

Schon bevor sie ans LG kam, war Lilith ambitioniert. Sie ging sehr gerne in die Schule im Seefeld, war auch sehr gut und wollte an den Wochenenden fast gar nicht zu Hause bleiben, so gern lernte sie. Wie schon fast zu erwarten, wollte sie auch unbedingt studieren. Ein Medizinstudium war ihr grosser Traum, weshalb sie sich für die Gymiprüfung am LG anmeldete. «Ich dachte mir, na ja, die meisten anderen machen es auch. Allerdings wollte ich es unbedingt selbst schaffen, also war ich in keiner Vorbereitung», berichtet sie grinsend. Tatsächlich bestand Lilith die Aufnahmeprüfung und geht seither ans LG Rämibühl. Doch auch bei ihr gab es spezielle Ereignisse in den sechs Jahren.

Am 13. März 2020 wurde auch sie von der Nachricht erreicht, dass die Schulen aufgrund von Covid-19 geschlossen werde. Damals war Lilith in der zweiten Klasse. «Im ersten Moment fand ich die Vorstellung, einfach schulfrei zu haben, mega cool.» Jedoch meint sie, dass die Situation zu sehr unterschätzt wurde. Grundsätzlich war es für Lilith aber eine sehr gute Zeit, denn obwohl sie vom sozialen Umfeld abgeschnitten war, hatte sie einfach mehr Zeit für sich, was man im normalen Schulalltag viel zu selten habe.

So kam es dann auch dazu, dass Lilith sich eines Tages eine Leinwand schnappte und sich von ein paar Künstler:innen auf YouTube inspirieren liess. «Ich fand es interessant zu sehen, was andere machen und was ich daraus machen könnte.» Schnell merkte sie, dass das Malen sie interessierte und fing an, auf Leinwänden eigene Kreationen zu schaffen. Diese Leidenschaft packte sie und seither ist Lilith eine begeisterte Künstlerin, was sie auch gerne zu ihrem zukünftigen Beruf machen würde. Studieren an der ZHdK oder auch in Bern sei der bisherige Plan, um das möglich zu machen. Davor fände sie ein Zwischenjahr in einem Museum oder einer Galerie gut.

Neben dem Malen schreibt die Sechstklässlerin auch sehr gerne; Singen sei ebenfalls ein Hobby, welches sie betreibe, seit sie ihre Stimme benutze, so Lilith. Auch Klavier habe sie sich mit Mitte 14 selbst beigebracht, nachdem sie sich spontan mit ihrer Mutter ein Piano in der Stadt gekauft habe. Bis letztes Jahr war sie auch noch in der Schülerband, diese hat sich allerdings mit Anbruch der 6. Klasse aufgelöst.

«Was ich meinen Freundinnen immer aus Spass sage, ist, dass ich mit ihnen eine Girlpunk-Band gründen werde. Wir lachen immer drüber, aber wer weiss!» Eine Band haben auch die zwei Brüder von Lilith gegründet, was sie natürlich auch inspiriert hat. Ganz besonders faszinierend findet sie, dass die beiden sich einfach hinsetzen können und etwas spielen, ohne gross zu kommunizieren. Das sei schon sehr beeindruckend, es gäbe nämlich auch jedes Mal einen super Flow, meint Lilith. Auf die Frage hin, was für ein Bild ihr in den Sinn komme, wenn sie das Wort «Musik» höre, antwortet sie: «Ein Mikrofon oder eine Bühne.» Obwohl Lilith ab und zu gerne Neues ausprobiert, hält sie nicht viel von Reisen. Der Stress und die vielen Veränderungen seien nichts für sie. Viel lieber sei sie mit ihren Freund:innen im gewohnten Umfeld. Andere Sprachen spricht sie zu Hause nicht. «Tja, ich bin echt voll der Bünzli», lacht sie. Ein wirklicher Traum, auch wenn dieser sehr abstrakt klinge, sei, mit ihrer besten Freundin später in einem kleinen Häuschen in einem Wald zu leben. «Es ist egal wo, aber dort unabhängig vom System zu wohnen wäre perfekt. Kunst machen, Musik hören. Eigene Sachen anpflanzen und vielleicht auch Haustiere halten. Einfach leben.»

Ein letztes Eintauchen in die schwarze Farbe, ein letzter Strich auf der Lein- wand, welche nun über und über mit Farbe bedeckt ist. Inspiriert sei dieses Bild von dem Song «Jigsaw Falling Into Place» von der Band Radiohead. «Für mich ist dieses Lied bzw. Bild ein grosses Durcheinander von Emotionen, es ist melancholisch, aber gleichzeitig ein Riesenchaos. Wie das Leben halt so ist.» Es ist eine Repräsentation vom Auf und Ab im Leben. Trotzdem soll es darstellen, dass man am Ende doch noch zu einer Lösung kommt.

Aufmerksam betrachtet nun Lilith das Bild. Sie lässt die Farben, Kringel und Linien auf sich wirken und ist stolz auf das, was sie geschaffen hat.
 


Ava Briem ist Schülerin der Klasse 3c.
Bild: Delia Schiltknecht.