Portrait

Ich bin John

oder Silvério João Cavaleiro dos Santos

von Ludwig Hoefs

 

Sein Lachen hallt durch den Gang des zweiten Untergeschosses unserer Schule. Er öffnet mir das Zimmer 222: «Bitte sehr!» Ich finde meinen Schlüssel unter meinem Tisch und bedanke mich, wie so oft um 16:35 Uhr, für seine Hilfe. Silvério João Cavaleiro dos Santos ist ein grossgewachsener Mann mit einer tiefen, sonoren Stimme. Dos Santos ist nun schon 14 Jahre lang am LG Rämibühl tätig, in dieser Zeit hat er viel über die Schule und über das Leben an der Schule gelernt. «Man muss an der Schule nicht nebeneinander leben, sondern miteinander», sagt er mit voller Überzeugung.

John war der Name, den ich bislang im Kopf hatte, wenn ich an den portugiesischen Putzdienst dachte oder ihn ansprach, falls ich wieder mal etwas vergessen hatte. Ein überraschtes Schmunzeln kann man mir deshalb sicher anmerken, als er mir auf die Frage, wie er heisse, diese lange Antwort gibt: Silvério João Cavaleiro dos Santos. Als ich ihm vor einiger Zeit einmal diese Frage stellte, antwortete er nämlich kurz und knapp und nannte mir die englische Version von João. Deshalb war mir bis zum Interview nicht bewusst, was für einen schönen Namen er besitzt.

João schliesst seine Augen. Gedanklich befindet er sich in Porto. Das Meer rauscht im Hintergrund, das warme Klima ist buchstäblich in der Luft riechbar. Er geht durch sein Wohnzimmer hindurch. Er sieht die Bilder seiner Verwandten an der Wand hängen. Doch der in seiner Heimat verwurzelte Portugiese ist schon beim nächsten Halt angekommen. «Es war zwar eine schöne Zeit in Portugal», aber Silvério wusste, er musste aufbrechen. Zürich rief.

Dos Santos hat einen sehr bewegten Lebenslauf; nach der obligatorischen Schule hat er sich im Bereich Informatik weiter- gebildet. Ihm gefallen deshalb auch die vielen, grossen Computerräume an der Schule. «Die Zimmer hier sind viel besser als bei uns in Portugal. Die Technologie hätte ich auch gerne gehabt.» Nach dem Abschluss der Weiterbildung arbeitete João eine Zeit in einer portugiesischen Post, bis er aus wirtschaftlichen Gründen die Arbeit wechseln musste. Es lag daran, dass Dos Santos während der Eurokrise 2008 keinen sicheren Job bekam. Es zog ihn dann bis nach Zürich, da ihm am Literargymnasium eine Festanstellung angeboten wurde. Seither geniesst es Dos Santos hier in Zürich und er ist optimistisch noch lange am LGR glücklich zu bleiben. «Es sind schon so viele Jahre, die ich hier bin und ich bin sehr zufrieden. Ich bleibe besser!»

Ein tiefer Wunsch an die Schülerschaft: Alle sollten ihren Müll, den sie produzieren, auch selbst entsorgen. Nicht damit Silvério dos Santos weniger zu tun hat; er denkt vielmehr an eine andere Mentalität. Er ist überzeugt, wenn das Schulzimmer verunreinigt und unsorgfältig hinterlassen wird, wird es ausserhalb auch nicht besser gemacht. Silvério hält nach seiner Äusserung kurz inne, bückt sich und hebt zwei kleine Papierstücke in die Höhe: «Wenn die Schüler und Schülerinnen das Klassenzimmer sauber hinterlassen, werden sie auch die Strasse sauber halten.» Er lehnt sich gefährlich weit nach hinten und entsorgt das Papier: «Falls sie dies nicht tun, ist dies ein Problem für alle Menschen!» Natürlich hat Dos Santos damit recht: Wir leben an einem zivilisierten Ort, oft sind es nur wenige Schritte, bis man zu einem Abfalleimer gelangt. Innerhalb eines Gebäudes sowieso!

Ich packe meinen Schlüssel ganz bewusst in meine Hosentasche, schüttle die Hand eines Menschen, der mir in den letzten 20 Minuten sehr viel bekannter wurde, ein Mann, der einen wundervollen Namen besitzt und doch einfach John bleiben wird. Jemand, der die vielen Gesichter und die vielen Menschen am LG liebt. Er, der den genau richtigen Job besitzt. Ein Mensch, der die Zukunft nicht scheut, weil alles darauf hindeutet, dass sie gut sein wird.
 


Ludwig Hoefs ist Schüler der Klasse 3c.
Bild: Delia Schiltknecht.