Kommentar

Hummer

Der erstaunliche Weg vom Abfallprodukt zur Delikatesse

Heutzutage gilt Hummer als feine Delikatesse, serviert mit Tomaten und frischen Kräutern, wird er von Champagner begleitet auf reich gedeckten Tafeln angerichtet. Das war aber nicht immer der Fall. Dieses Krebstier gehörte nämlich für eine lange Zeit seiner Geschichte als Nahrungsmittel nicht den Küchen der Reichen, sondern denjenigen der Armen. 

Im 17. und 18. Jahrhundert gab es in Nordamerika so viele Hummer, dass er die Strände bedeckte. Krustentiere wurden damals als eine schlechtere Alternative zu Fleisch gesehen. Deshalb betrachteten die europäischen Siedler ihn als Notnahrung oder nutzten ihn sogar als Dünger für den Ackerbau. 

Hummer wurde hauptsächlich von Dienern und Gefangenen konsumiert, denn er galt als minderwertig und verdirbt sehr schnell. Was die nordamerikanischen Gefangenen des 18. Jahrhunderts gegessen hatten, war oft schon verdorben und schmeckte schlecht. Aus diesem Grund hatte sich Hummer als Nahrungsmittel nicht im Landesinneren etabliert. Das änderte sich mit der Erfindung von Kühlgeräten und der Haltbarmachung von Lebensmitteln in Konserven in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Hummer konnte nun frisch gehalten werden und wurde darum auch im Landesinnern verfügbar. So konnten viele Menschen dieses Schalentier zum ersten Mal probieren. Um mehr Hummer zu verkaufen, wurde er als etwas Exotisches beworben, unter anderem gab es Werbebilder auf Zügen, die mit Kühlgeräten ausgestattet waren.

Da die Nachfrage stieg, wurden mehr Hummer gefangen, was schliesslich zu Überfischung führte. Wo es früher zu viele Hummer gab, wurden sie mit dem zunehmenden Verkauf ins Landesinnere knapp. Die Seltenheit von Hummer, die zuerst eine Marketingstrategie war, wurde real. 

Die Geschichte des Hummers zeigt uns, wie sich der Wert eines Lebensmittels und dessen gesellschaftliche Wahrnehmung komplett verändern kann. Diese Veränderung ist nicht die Folge eines einzelnen Faktors, sondern ein Zusammenspiel von Verschiedenem.  

Verfügbarkeit spielt dabei eine Rolle. Mit dem Anstieg der Nachfrage und der Überfischung konnte der Preis im 19. Jahrhundert steigen, und dadurch legte der Hummer seinen schlechten Ruf ab. Denn Hummer war anfangs hauptsächlich wegen des grossen Vorkommens verpönt. Es kamen kulturelle Faktoren hinzu, denn was einen schlechten Ruf hat, wird auch kulinarisch als minderwertig betrachtet. 

Spannend sind auch die beiden unterschiedlichen Perspektiven: Was die Küsteneinwohner als billig und gewöhnlich sahen, war für die Bewohner des Landesinneren exotisch, weil Hummer als exotisch präsentiert wurde. 

Die Geschichte vom Hummer lehrt uns also: Entscheidend ist nicht nur, was wir essen, sondern auch, was wir darüber denken und sagen.

 


David Maier ist Schüler der Klasse 4i und Teil der Redaktion LGazette.