ANEKDOTE
Donnerstag, 2. April 2020
Von Anja Nickel
4.00 Der Wecker klingelt. Hoffentlich zwei Stunden Zeit, bis das erste Kind aufwacht. Schnell duschen, anziehen, Kaffee trinken, Computer starten. Die Lektionen für die oberen Klassen sind bereits fertig vorbereitet, die Lektion für die Erstklässler fehlt noch. Sie sollten etwas zum Thema Regenwürmer machen, Das wäre ideal, um sie zur Abwechslung einmal vom Computer wegzuholen.
Welches Material aus der Küche, das in jedem Haushalt vorhanden ist, kann man anstelle der Schulversuchs-Materialien nehmen? Kann man von den Schüler*innen verlangen, selber einen Regenwurm zu suchen? Die Anleitung genau auszuformulieren, damit wirklich klar ist, was erwartet wird, dauert deutlich länger als gedacht – wie viel einfacher es doch ist, Informationen mündlich an die Schüler*innen zu bringen!
6.20 Kind 4 erscheint, lässt sich aber mit Harry-Potter-Hörspiel noch eine Weile beschäftigen. Der Regenwurmauftrag muss ja bis Montagmorgen fertig werden.
6.30 Kind 4 hat Hunger – schnell Milch und Müesli hinstellen und weiterarbeiten.
6.40 Kind 4 hat die Milch ausgeleert und braucht Hilfe; ich brauche noch Zeit, um den Auftrag fertigzustellen. Vielleicht doch nochmal Harry Potter?
6.50 Harry Potter ist jetzt langweilig, Kind 4 bringt aber netterweise den Hund kurz raus.
7.00 Fast fertig – später, oder am Wochenende finde ich sicher noch Zeit, um den Regenwurmauftrag fertigzustellen, so dass die Schüler*innen am Montagmorgen Zugriff auf die Aufgabe haben.
7.10 Kind 1 und 2 müssen aufstehen. Gemeinsames Frühstück, in der Zeit kann ich die Spülmaschine ausräumen und anfangen Gemüse fürs Mittagessen zu rüsten. Kind 2 hilft beim Vorbereiten.
7.45 Kinder 1 und 2 setzen sich an ihre Onlinelektionen, zum Glück konnte Kind 1 einen Computer von der Schule leihen. Kind 2 benutzt den Familiencomputer eigentlich ganztags, da alle Lektionen gut organisiert über Teams stattfinden.
8.00 Kind 3 und Ehemann erscheinen zum Frühstück.
8.30 Beginn Homeschooling mit Kind 3 und 4: Aufgaben bereitlegen, Überblick verschaffen – Harry Potter ist nun deutlich spannender als die Aussicht auf Mathe und Deutsch.
8.35 Kind 3 findet sein Deutschbuch für die anstehende Lektion nicht. Hektisches Suchen. Zum Glück taucht es nach intensivem Suchen im Garten wieder auf, wo Kind 3 gestern die Hausaufgaben erledigte.
8.45 Zoomcall für Kind 3 auf meinem Computer. In seinem Zimmer ist das Internet zu schwach, es besetzt deshalb das Wohnzimmer; Kind 4 und ich weichen zum frühstückenden Ehemann in die Küche aus (und versuchen leise zu sein, um Kind 3 nicht zu stören).
8.48 Kind 3 braucht Hilfe beim Einwählen, Kind 4 braucht Hilfe bei einer Matheaufgabe.
8.50 Die Verbindung für Kind 3 steht, Kind 4 wird ungeduldig.
8.52 Endlich Zeit, Mathe zu erklären. Die eins-zu-eins Betreuung tut diesem Kind besonders gut. Nun müssten Mathe-Aufgaben auf «Anton» im Internet gelöst werden – das iPad mit seinen vielen Möglichkeiten bietet aber grosses Ablenkungspotential. Überhaupt wäre es ja spannender, nun die Deutschaufgaben zu erledigen oder Harry Potter zu hören.
9.30 Zoomcall zu Ende, Kind 3 braucht das iPad für die Anton-Aufgaben. Natürlich möchte auch Kind 4 seine Anton-Aufgaben jetzt doch sofort erledigen. Leider gibt es kein zweites iPad im Haus; alle Computer sind besetzt. Zum Glück klingelt das Telefon.
9.35 Kind 4 hat ein Telefongespräch mit der Lehrperson. Das Kind zieht sich in sein eigenes Zimmer zurück. Telefonisch erklärte Hausaufgabe: Einen Hasen für Ostern stricken – die genaue Anleitung kommt per Mail an mich. Leider braucht nun Kind 3 den Computer für seine Teams-Aufgaben.
9.40 Alle Kinder sind beschäftigt. Kurz Zeit, um das Mittagessen fertig vorzubereiten (für 6 Personen dauert das erstaunlich viel länger als für die drei, die hier sonst zu Mittag essen) und in den Ofen zu schieben.
10.00 Kind 4 will endlich den Hasen stricken, der Computer ist frei. Schnell die Anleitung drucken, Stricknadeln und Wolle suchen und mit einigen Unterbrüchen (Kind 2 findet keinen Znüni, Kind 1 möchte etwas erzählen) versuche ich Kind 4 das Stricken wieder ins Gedächtnis zu rufen. Es erinnert sich nicht, das je im Unterricht gelernt zu haben.
10.20 Kind 3 braucht Hilfe in Französisch, Kind 2 hat Fragen zum Bio-Thema, Kind 4 hat Maschen verloren, zwischendrin Tisch decken, den Hund kurz rausbringen.
12.00 Mittagessen: Wie schön, dass nun immer alle da sind.
13.00 Essen schnell wegräumen, Kind 4 hat nun gleich Waldhornunterricht. Wo ist der Notenständer?
13.15 Waldhornlektion über Zoom mit Kind 4 – alle ausser Kind 4 gehen ins obere Stockwerk, da der Waldhornlehrer keinerlei Hintergrundlärm duldet.
13.45 Gartenzeit für Kind 3 und 4 (zum Glück scheint oft die Sonne). Kind 1 und 2 setzen sich an ihre Lektionen; zwei weitere Stunden zum Arbeiten für mich, mit kleinen Unterbrechungen, wie Wasser im Garten am Haupthahn anstellen oder vom obersten Regal im Keller das Schwimmbecken hervorkramen. Kind 3 und 4 verstehen sich sehr gut, schön, dass sie nun soviel Zeit zusammen verbringen können.
14.15 Lektion mit Klasse X über Teams als Möglichkeit zum Nachfragen und Besprechen. Mails mit Fragen der Schüler*innen beantworten, die ersten eingereichten Aufgaben der oberen Klassen lesen und Rückmeldungen geben. Die Regenwurmaufgabe ist bereit.
16.00 Die Kinder sind fertig mit «im Garten spielen» und Schule und kommen zum „Zvieri“. Nun ist nebenher Zeit für die nötigsten Handgriffe im Haushalt, alle Kinder haben einen Job von Staubsaugen bis Bodenwischen. Der Hund muss raus, das Abendessen wartet auf die Zubereitung. Kind 1 kocht für uns, Kind 2 spielt mit den beiden Jüngeren.
18.00 Essen, ein Brettspiel mit allen 4 Kindern; Kind 3 und 4 ins Bett schicken, die beiden Älteren schauen noch einen Film.
21.00 Schnell noch die Homeschooling-Aufgaben für Kind 3 und 4 für morgen ausdrucken (neue Druckerpatronen bestellen), Aufgaben der 6. Klasse korrigieren und individuelle Feedbacks schicken. Die Regenwurmaufgabe einmal zur Kontrolle genau durchlesen und auf Teams laden.
22.00 Zeit fürs Bett, Wecker auf 4.00 Uhr richten – nur die Steuererklärung wartet noch immer...
Dr. Anja Nickel ist Biologie- und ToK-Lehrerin am LG und Mutter von 4 Kindern.