RETROSPEKTIVE

DIGITALE REVOLUTION AM LG

 

von Kerstin Peter

 

Autsch! Mia reibt sich die leicht gerötete Stelle an der Innenseite des Unterarms. Dabei ist sie doch nur zwei Minuten zu spät und bereits auf dem Schulgelände, nur noch nicht im Klassenzimmer. Seit 2052 läuft die Erfassung von Absenzen, Verspätungen, aber auch die Überprüfung, ob Hausaufgaben erledigt wurden oder die Hausregeln eingehalten wurden, über den implantierten Schüler:innen­-Chip, der auch direkt Stromstösse, dosiert nach Versäumnissen oder Vergehen, aussendet.

Keine Angst, liebe Leser:innen: Dieses Big-Brother-Szenario wird so bestimmt nicht eintreffen. Auch wenn es technisch machbar würde.

Aber blicken wir zunächst einmal etwas zurück in die Vergangenheit. Vor knapp 30 Jahren kaufte ich mir mein erstes Natel, mein Handy. Smartphones gab es damals natürlich noch nicht! Lustigerweise waren es oft die Mütter, die zum Kauf dieses neuen Wunderdings drängten, denn es war eine gute Möglichkeit, die Sorgen um die heranwachsenden Kinder zu mindern, die nun plötzlich jederzeit leicht erreichbar waren.
Auch Internet und E-Mail wurden erst in den 1990er-Jahre ein Thema in der breiteren Öffentlichkeit. Was damals Science-Fiction-Szenarien oder James-Bond-Gadgets waren – z.B. selbstfahr­ende Autos –, ist heute bereits Realität (oder schon wieder überholt).

Nicht nur die Kommunikation, auch das soziale Leben veränderte sich durch die neuen Technologien massiv.
Bis in die Zeit um das Jahr 2000 fanden Schulreisen komplett ohne Handys statt. Wollte man etwas über ein Thema erfahren, konnte man nicht rasch googeln oder in Wikipedia nachlesen, sondern man machte sich – zu Bibliotheksöffnungszeiten – auf den Weg in die „ZB“, um dort zu recherchieren und Bücher auszuleihen. Die Noteneinträge am Semesterende wurden in grosse, im Lehrerzimmer aufliegende Papierbögen gemacht, manchmal musste man dafür Schlange stehen; diese Noten wurden dann durch die Sekretärinnen einzeln und von Hand in die Zeugnisse eingetragen!

Es ging gut – und manchmal beschleicht einen das Gefühl, dass man damals trotz aufwändigeren Verfahren mehr Musse hatte. Aber die neue Zeit machte sich bemerkbar und brachte wunderbare Innovationen hervor.

Revolutionär war – nachdem sich die handliche(re)n P(ersonal)C(omputer) durchgesetzt hatten – sicherlich der Aufbruch ins grenzenlose „W(orld)W(ide)W(eb)“. Das charakteristische Geräusch bei der damals so entgrenzenden, aus heutiger Sicht recht mühsamen, Internet-Einwahl via Telefonmodem und „TCP/IP-Protokoll“ haben die älteren Leser:innen wohl noch im Ohr. Das LG ging als eine der ersten Kantonsschulen 1998 mit einer eigenen Homepage online.

Die Entwicklung im Schulzimmer führte vom ersten fix installierten Computerraum mit Schüler:innen-PCs (1985) über mobile Beamer- und Laptopwagen bis hin zu modern  eingerichteten Medienzimmern und BYOD (2022).

Die Auswirkungen auf den Unterricht zeigen sich zum Beispiel bei den mobilen „Fernseh-Wagen“, die man früher ausleihen und ins Zimmer rollen musste. Diesen Aufwand nahm man als Lehrperson nur auf sich, wenn man sicher war, dass die (richtig vorgespulte) Video-Sequenz ganz sicher zum Einsatz kommen würde; heute lohnt es sich auch, zwischendurch einen zweiminütigen Filmausschnitt zu zeigen.

Ein Beispiel für die Modernisierung von Organisation und Verwaltung ist – neben der komplett digitalisierten Schuladministration, von der Personendatenbank bis zum Zeugnisdruck – der elektronische Stundenplan. Erfuhr man früher erst am Morgen in der Eingangshalle beim aufgehängten Papierstundenplan, in den die Stundenplanordner:innen von Hand Streichungen eingetragen hatten, dass eine Stunde ausfiel oder verschoben worden war, können heute sowohl die Stundenplanordnerinnen als auch Schüler:innen bequem auch online via Intranet darauf zugreifen.

Das LG war – abgesehen vielleicht von der Anfangsphase – nie „Pionierin“ in ICT-Angelegenheiten, hat aber alle Entwicklungen im soliden Mittelfeld mitgemacht und sich kaum in Sackgassen verirrt.


Wie bei jedem Fortschritt liegen auch bei der Entwicklung von der analogen in die digitale Welt „Segen und Fluch“ nahe beieinander. Heute rücken neben den unbestreitbaren Vorteilen, Erleichterungen und erweiterten Mög­lichkeiten oft auch wieder die negativen Aspekte in den Vordergrund: „Big Brother“ und Datenschutzfragen, wie in der Eingangsvision geschildert, „Fake News“ und anonyme „Hate Speech“, Ablenkung und Spiel-/Internetsucht sind dazu nur einige Stichworte, die uns und die ganze Gesellschaft beschäftigen.

Im Folgenden soll anhand einer Timeline ein Überblick über die wichtigsten Meilensteine der Digitalisierung des Literargymnasiums gegeben werden:

Timeline/Meilensteine:

1977/78: Das LG verfügt über erste «leistungsfähige Tischrechner» und einen «modernen Terminal (…), der ans Rechenzentrum der Universität angeschlossen ist». In ersten Computer-Freifachkursen werden Sternbahnen berechnet oder ein Kompositionsprogramm für Kontrapunktübungen entwickelt.

1985: Im ersten festinstallierten Computerzimmer wird – v. a. im Mathematik-Unterricht – das Programmieren mit APL ausprobiert. Es entstehen erste selbst entwickelte Software-Programmpakete, mit denen – die herkömmlichen «Sprachlabore» ablösend – z. B. im Englischunterricht Vokabeln und Formen geübt werden konnten. Es sind in den 1980er-Jahren v. a. einzelne «Pioniere», die die Computer im Unterricht einsetzten.

1995(–2022/23): MAR-Reform: Im neuen Maturitäts-Anerkennungs-Reglement (MAR) wurde der eigentliche Informatikunterricht abgeschafft und die Vermittlung von Informatikkenntnissen neu als Aufgabe aller Fächer definiert – was mit der MAR-Teilrevision von 2018 nun wieder rückgängig gemacht wurde: Die Teilrevision ist die Grundlage für eine schweizweite Einführung eines Informatik-Obligatoriums am Gymnasium und wurde auf das Schuljahr 2022/23 umgesetzt.

1997/98: Das Internet wird erstmals Thema! Das Informatikzimmer wird mit neuen, leistungsfähigeren (die alten Computer hatten gemäss Jahresbericht 1988/89 einen Arbeitsspeicher von gerade einmal 256 KB!) und internettauglichen PCs ausgestattet, die nun auch für die neu aufgekommenen, modernen Lernprogramme eingesetzt werden können. Weiterhin sind es v. a. die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fachschaften sowie einigen innovative Sprachlehrkräfte, die den Computerraum sporadisch nutzen.

1998: Das LG geht als eine der ersten Kantonsschulen mit einer eigenen – gemeinsam mit Schüler:innen entwickelt – Homepage online.

2001/02: Digitalisierung der Verwaltung: Einführung des «Information Managers», einer kantonalen Schulverwaltungs-Datenbank. Einerseits sind hier alle Adressdaten der Schulen erfasst, inkl. Buchhaltung, andererseits werden hier auch Klassen- und Notenverwaltung, Zeugnisdruck etc. durchgeführt.

2004: Einrichtung der eidgenössischen Internet-Lernplattform «Educanet2» am LG als erste interaktive Arbeits- und Lernumgebung für Schulen mit verschiedenen Kommunikations-, Kooperations- und Lernwerkzeugen.

2005/06: Unter Rektor Christoph Baumgartner, der am digitalen Wandel grosses Interesse zeigt, kommt es zu einem umfassenden Neubeginn im ICT-Bereich und einer Professionalisierung: An die Stelle einzelner computerbegeisterter Lehrer:innen, die die Computer nebenamtlich von Grund auf aus ihren einzelnen Komponenten «zusammenbastelten», tritt nun ein ICT-Team, bestehend aus einem vollamtlichen Informatikassistenten für die Technik, einem Schulleitungsmitglied für die Organisation und Lehrpersonen für den pädagogisch-didaktischen Bereich. Dies ist aufgrund der ständig wachsenden ICT-Infrastruktur unabdingbar, um einen professionellen und möglichst reibungslosen Betrieb zu gewährleisten. Auch die veraltete Infrastruktur wird ab 2005 nochmals grundlegend erneuert: Ein neues Schulnetzwerk und mehrere Computerräume werden eingerichtet; zwei Laptopwagen mit 12 bzw. 24 Computern, Internetanschluss, Beamer und Drucker können neu als «mobile Klassenzimmer» eingesetzt werden. Ausserdem wird eine erste «Weiterbildungswelle» gestartet, in der Computerkurse von und für Lehrpersonen angeboten werden.

2006/07: Das «Intranet», ein Web-Client, der Teile der Schuldatenbank abbildet, geht online und ist vorerst nur für Lehrpersonen zugänglich; es können Adressen, Klassenlisten oder wichtige Dokumente abgerufen und erstmals auch Noten online von zuhause aus eingegeben werden.

2007/08: Aufstockung der Infrastruktur: Neben den «mobilen Klassenzimmern» gibt es neu auch 10 mobile Beamerwagen mit Beamer, PC-Laptop, DVD- und Video-Player sowie einem leistungsfähigen Lautsprechersystem. Diese sind ab 2008/09 auch online via Intranet reservierbar.

2008/09: Zur individuellen ICT-Weiterbildungsplanung werden eine Reihe von Grundkenntnissen und «Minimalstandards» aufgelistet, welche jede Lehrperson im Umgang mit Computern beherrschen sollte.

2009/10: Alle Lehrpersonen verfügen über einheitliche LG-Mailadressen. In der Eingangshalle, im Lehrerzimmer und im Naturwissenschaftstrakt wird eine elektronische Stundenplan-Anzeige eingerichtet. Das Intranet ist nun auch für Schüler:innen zugänglich, u. a. mit der Möglichkeit, den tagesaktuellen Stundenplan online abzurufen. Für die Lehrkräfte wird im Schulhaus ein WLAN-Zugang eingerichtet.

2012: Es erfolgt ein Relaunch der LG-Webseite.

2012/13: Die (mehrheitlich 2005 angeschaffte) ICT-Infrastruktur wird gesamthaft erneuert. Ein zusätzlicher Computerraum wird geschaffen, so dass nun in vier Computerräumen sowie an den Arbeitsplätzen in der Mediothek und in den Lehrer:innenarbeitsräumen rund 150 Computer komplett erneuert und mit aktueller Software ausgestattet sind. In den Computerräumen werden neu auch Visualizer installiert. Eine neue Firewall wird eingerichtet; das neue WLAN deckt fast das ganze LG-Gebäude ab und soll sukzessive auch für Schüler:innen freigeschaltet werden.

2013/14: Alle Klassenzimmer werden mit Decken-Beamer, zentrierter elektrischer Leinwand, Wandlautsprechern und höhenverstellbarem «Medienpult» mit integriertem Laptop ausgestattet.
Es erfolgt ein Upgrade auf das neue «Intranet Sek II». Das LG wird – wie viele andere Schulen auch – Opfer von Diebstählen: In zwei Einbrüchen werden 13 iPads aus dem neu bestelltem iPad-Koffer mit 16 iPads und insgesamt 27 Laptops gestohlen. Die Diebe verzögern so wohl erste BYOD-Tests.

2015/16: Es werden regelmässige ICT-Weiterbildungen für Lehrpersonen durchgeführt. «Own­cloud» ist als schulischer Cloudspeicher auch von ausserhalb der Schule erreichbar.

2016/17: Die Freifach-Anmeldungen finden erstmals via Intranet statt.

2017/18: Der Pilotversuch mit einer iPad-Klasse startet, über vier Jahre weg steigt je eine neue 3. Klasse mit ein. So werden erste Erfahrungen im Unterrichten mit digitalen Geräten und BYOD gesammelt. Die Schule ist gewachsen, es herrscht Raummangel: Das LG führt erstmals 31 statt 30 Klassen. Ein Computerraum wird nun als Klassenzimmer gebraucht; als Ersatz wird die Mitschauanlage in einen vollwertigen Computerraum umgebaut.

2018/19: Ein Pilotversuch mit dem elektronischen Klassenbuch im Intranet und Vorbereitungsarbeiten für den Umstieg auf die neue pädagogische Plattform (Microsoft 365) prägen das Schuljahr. Der Regierungsrat setzt auf den 1. Juli 2018 die neue kantonale ICT-Strategie in Kraft, mit Neuerungen sowohl in der Verwaltung- als auch im pädagogischen Bereich. In Erarbeitung befindet sich ausserdem das kantonale Strategiepapiere für die Sekundarstufe II «Digitaler Wandel am Schulen», das weitreichende Wirkung haben wird – und der schulischen Realität immer ein bisschen hinterherhinkt.

2019/20: Auflösung des ICT-Teams und Neustrukturierung des ICT-Bereichs durch die neue Schulleitung (vgl. Jahresbericht 2019/20). Angestrebt wird eine weitere «Professionalisierung» des technischen und pädagogischen Supports. Zwei grosse Projekte stehen im Vordergrund: «Projekt Office 365» und «Projekt BYOD». Der Corona-Frühling 2020 stellt das ICT-Team einerseits vor enorme Herausforderungen, verleiht andererseits der digitalen Modernisierung ebenfalls einen enormen Schub! Am 13. März kommt es zu Schulschliessung und Fernunterricht. Educanet bricht zusammen und wird durch Office 365 ersetzt, kombiniert mit der Migration auf den «MBA-Office 365-Tenant», also einen «grossen Office 365-Account», auf dem alle Mitgliedschulen zusammengefasst werden.

Aus dem Jahresbericht 2019/20: «Bei allem Stress, den die unerwartete Umstellung auf den Fernunterricht für das ICT-Team mit sich brachte: Für die Planung des BYOD-Projekts sind die Fernunterrichts-Erfahrungen sehr hilfreich.»
 

Der Rest ist Geschichte: Auf das Schuljahr 2021/22 wurde am LG für alle Klassenstufen BYOD (Bring your own device) eingeführt, d. h., ab Sommer 2021 bringen alle Schulangehörigen ihr persönliches digitales Gerät mit in den Unterricht. (Siehe Jahresbericht 2021/22).

Aber die Geschichte ist niemals zu Ende, schon gar nicht im technischen Bereich!
Weiterbildungen, Weiterentwicklungen, neue Unterrichtsformen werden uns auch in Gegenwart und Zukunft weiter beschäftigen. Wie wird die Schule wohl 2052 aussehen? 

 


Kerstin Peter unterrichtet am LG Geschichte und Deutsch. Sie ist Teil des pädagogischen ICT-Supports.
Bilder: Hannes Gubler