EINBLICK

Schnitzeljagd und Museumsbesuch

 

von Tiziana Carraro

 

Einmal im Monat ein Highlight, so hielt es vor Jahren ein inzwischen längst pensionierter Englisch- und Kunstgeschichtelehrer an einem Winterthurer Gymnasium. So oft sollte eine Klasse in einem Fach eine aus der Reihe tanzende pädagogische Sternstunde erleben. Es waren die frühen Nullerjahre, als wir uns über Mittel und Wege, das Interesse der Klassen immer wieder neu zu befeuern, unterhielten. Sein Ansatz – einige Wochen lang jeweils mit einer Klasse an einer Thematik zu arbeiten, bis die Lerninhalte anwendbar waren, um dann die müden Geister dank eines aussergewöhnlichen Programms wieder zu erquicken – baute auf langjähriger Erfahrung auf, wenngleich das Rezept etwas – zugegebenermassen – Vorhersehbares an sich hatte. Seine Begründung, nicht öfter mit Überraschungen aufzuwarten, basierte auf zwei Punkten: Erstens sollte sich – und das war die naheliegendere Erklärung – der Effekt nicht abnutzen. Zweitens reichte ihm angesichts eines vollen Pensums von fünf bis sechs Klassen im Sprach- und im Kulturfach die Zeit nicht, um mehr als ein bis zwei besondere Unterrichtsstunden pro Woche vorzubereiten und durchzuführen. Dies leuchtete mir, die ich damals mit einem Teilpensum von zwei oder drei Klassen beschäftigt war, zwar mehr oder weniger ein, doch sollte ich mich erst später, mit wachsendem Pensum und zunehmend mit schulischen Aufgaben betraut, an die wahre Bedeutung der Aussage im beruflichen Alltag erinnern. Umso mehr, als während der letzten zwei Jahrzehnte Diaprojektoren, Epigraphen und Videokassetten verschwanden, deren Einsatz früher bereits Abwechslung garantierte, und die technisch eigentlich viel einfacher einsetzbaren, digitalen Medien aufkamen.

Erinnere ich mich an den Ratschlag des älteren Kollegen, so geht es über weite Strecken nach wie vor, mit Blick auf mein Fach Italienisch, um kleinere und grössere Highlights wie Spiele, Lieder und Filme, aber auch um Exkursionen, Theater- und Museumsbesuche, die die Lernarbeit im Schulzimmer nicht nur auflockern, sondern das Interesse der Lernenden zusätzlich wecken können.
Mit der von Corona geprägten Zeit zogen auch am LG digitale Plattformen und Apps im alltäglichen Unterricht ein, und damit auch die Lust am Experimentieren mit den neuen Möglichkeiten. Speziell Spiele – ob als App oder als physisches Brett-/Kartenspiel – packen die Schüler:innen beim Ehrgeiz und lassen sie beim Knobeln und beim intellektuellen Kräftemessen im besten Fall fast vergessen, dass sie in der Schule sitzen. Jetzt bietet sich uns Lehrkräften plötzlich die Möglichkeit, etwas Übung vorausgesetzt, viel schneller als je zuvor neue Sprachlernspiele zu kreieren. Zeitweilig erklang zu Schlussstunden vor den Ferien gefühlt aus jedem zweiten Zimmer die unverwechselbare Kahoot-Melodie, wenn man durch die Gänge ging. Als Kehrseite ist allerdings zu befürchten, dass irgendwann der Reiz des Neuen auf der Strecke bleibt. Einzige Ausnahme ist ausgerechnet dieses Spiel, dessen Tonteppich süchtig zu machen scheint.

Um die Gestaltung einer besonderen Sprachlektion geht es im ersten Beispiel, mit dem ich
meine Erfahrungen rund um die fächerübergreifende Zusammenarbeit mit einer anderen Lehrkraft beschreiben möchte. Ich wollte gern ein sprachenübergreifendes Quiz schaffen, und zwar in Zusammenarbeit mit einer Spanischlehrerin, Viktória Kvetánová, die jeweils die andere Hälfte einer profilgemischten Klasse unterrichtete, während ich mit meiner Hälfte Italienisch hatte. Mir schwebte die Gestaltung einer Abschlussstunde vor, in der die sonst getrennten Klassenhälften eine gemeinsame spannende Stunde erleben konnten, in der nur die Kombination von Kenntnissen in Spanisch und Italienisch den Schlüssel zu den Sprachrätseln lieferte. Vor zwei Jahren hatten wir innerhalb unserer Italienisch-Fachschaft bereits einmal mit der App «Actionbound» in Lugano erste Erfahrungen gesammelt. Was lag näher, als mit Hilfe dieser App unser Schulhaus zu einem sprachlich zu erkundenden Gebiet zu deklarieren und eine Serie an Fragen dazu aus dem Ärmel zu schütteln? Bestechend schön schien der Kollegin und mir also die Idee, mit Hilfe einer App der Klasse ein sprachlich herausforderndes und trotzdem spielerisches Rätselerlebnis zu ermöglichen.

So einfach die Idee klang, desto umständlicher und aufwändiger wurde die Umsetzung, sobald wir uns an die Arbeit machten. Wir waren beide mit Herzblut und Überzeugung bei der Sache, das Ergebnis konnte sich am Schluss auch sehen lassen und die Schüler:innen der Klasse begaben sich auf den sprachlichen Rätselweg, dass es eine Freude war, da sie ihre Spanisch- und Italienischkenntnisse tatsächlich zusammenlegen und anwenden mussten, um zu den richtigen Lösungen zu gelangen.

Erfahrene Lehrkräfte wissen allerdings: Sobald man zu zweit und dann auch noch fächerübergreifend und in unserem Fall zudem Hand in Hand zu arbeiten beginnt, ist es wichtig, jeden didaktischen und methodischen Schritt abzustimmen, was unweigerlich einen grösseren Zeitaufwand nach sich zieht. Während unserer Treffen sprachen wir grundsätzlich über die Durchführbarkeit des Projekts, skizzierten die Eckpfeiler, setzten uns mit den technischen Tücken und Möglichkeiten der App auseinander, formulierten vieles und verwarfen es wieder und lernten nebenbei einige Dinge über die jeweilige andere Sprache. Ist man bereit, diesen zeitlichen Mehraufwand zu betreiben, steigt gleichzeitig der eigene Anspruch an das Ergebnis. Schliesslich investiert man nicht so viel Zeit und Energie in jede einzelne Lektion. So gelang es uns, eine Reihe von Aufgabenstellungen zu formulieren, die der Klasse einiges an Knobelarbeit abverlangte: Die Anweisungen zur Schnitzeljagd mussten sprachlich bis in die Finessen hinein verstanden und innerhalb der eigenen Spielergruppe verständlich gemacht werden und die vorgefundene Aufgabe musste vor Ort sprachlich korrekt in die Lösung umgesetzt und eingetippt werden. Nicht zu vergessen: Um die Fallstricke jeder Eingabe auf ein Minimum zu reduzieren, baten wir eine dritte Lehrperson (vielen Dank, Doris Burgherr!), für uns den Parcours auf Actionbound auszutesten, was wiederum zu letzten Korrekturen führte. Endlich konnten wir das Spiel in die Klasse bringen, und so kam es, dass die Schüler:innen einen im Schulhaus versteckt angebrachten QR-Code finden und scannen mussten, um die betreffende Frage korrekt zu beantworten («Vai al piano inferiore della scuola. Accanto alla stanza della SOLG troverai un cestino dei rifiuti. Sotto il cestino è applicato un codice QR che ti porterà a una pagina online. Dopo la lettura del testo in spagnolo potrai rispondere alla domanda.»). Oder dass sie in der Mediathek ein «Piccolo dizionario dei falsi amici» in die Hand nehmen mussten: «Abre el libro en la página 104 y mira la primera pareja de “falsos amigos” en la lista. ¿Cómo se dice la palabra italiana en español? Elige una palabra. □ la nata □ la lata □ la averìa
□ la avenida». Und weiter: «Was bedeutet “pasta” weder auf Spanisch noch auf Italienisch?  □ Nudel □ Süssgebäck □ Geld □ Gepäck». Etwas mehr als ein Dutzend solcher und ähnlicher Fragen mussten gelöst werden. Die Klasse hat sich wacker geschlagen! Die Schüler:innen mussten ihr Können unter Beweis stellen und konnten einige neue Wissensbrocken der jeweils anderen Sprache gleich auch mitnehmen. Für das beste Punkteergebnis verschenkten wir süsse italienische und spanische Leckereien.

Rückblickend müssen wir uns fragen, warum die Unterrichtseinheit, die das Spiel darstellt, eine einmalige Begebenheit blieb. Denn ja, bislang erlebte sie keine Wiederholung: Genauso, wie so manche mit viel Aufwand vorbereitete Arbeitswoche in Kombination von zwei Fächern eine einmalige Auflage bleibt, weil sich gewisse Gelegenheiten leider nur einmal ergeben; weil zudem manchmal zufällig zwei Lehrkräfte aufeinandertreffen, die das Potential einer Zusammenarbeit erkennen und die Gelegenheit am Schopf packen. Ändern sich aber die Gruppen, die Voraussetzungen, die Lerngeschwindigkeiten, so passen die mit viel Arbeit und Hingabe vorbereiteten Materialien dann doch wieder nicht und man beginnt wieder von vorne.

Beim zweiten Beispiel ist die Situation ähnlich (eine in der Sprachwahl zwischen Latein und Italienisch aufgeteilte Klasse), auch der Anlass ist vergleichbar (diesmal keine Schlussstunde, sondern die 2. LG-Woche, für die wünschenswerterweise ein halber Tag mit Programm anzubieten ist). Die Klasse ist sehr empfänglich und dankbar für jeden didaktischen Input, der sie aus der Schulstube hinausführt. Aber da es ungerecht wäre, nur die eine Klassenhälfte entsprechend zu beschäftigen, frage ich mit einigen Monaten Vorlauf meinen Kollegen Markus Weber (Latein), ob er sich vorstellen könne, ein gemeinsames Programm auf die Beine zu stellen, das uns dank eines verbindenden Themas ins Landesmuseum führt. Natürlich muss auch für diese Art der Zusammenarbeit etwas Aufwand betrieben werden: So nahmen die Absprachen mit der Führungsperson, die für die entsprechenden Themengebiete im Museum zuständig ist, mehrere Termine in Anspruch. Es war spannend, ein Thema einzukreisen und dabei immer genauer zu definieren, was in beiden Fächern verankert ist und der Klasse vorgeschlagen werden kann und welche Exponate im Landesmuseum dazu vorhanden sind. Fündig wurden wir beim Thema Migration. Zur Zeit des Römischen Reiches gab es Beamte, die ins damalige Turicum entsandt wurden, um hier ihrer Arbeit nachzugehen, und die sich hier mit ihren Familien niederliessen. Ihre Lebensspuren finden sich in Inschriftentafeln des Museums wieder, genauso wie diejenigen von Migranten aus der italienischen Halbinsel, die seit der Renaissance in der Schweiz ihr Glück, ihre Rettung, ihr Auskommen oder auch ihre Zukunft gesucht haben. Der rote Faden war also gefunden, die passenden Exponate im Landesmuseum werden bei einem gemeinsamen Rundgang bestimmt und auch das darauf aufbauende Programm mit der Führungsperson entwickelt. Unsere Planung sah vor, dass wir zuerst auf den Lindenhof gehen, dort die vielfältigen «Migrationshintergründe» innerhalb der Klassenzusammensetzung optisch wirksam auf einer Weltkarte einzeichnen, dort ebenfalls die eingemauerte Kopie einer römischen Inschrift besprechen, um dann ins Landesmuseum zu den Originalen zu gehen. Hier sollte uns die Führerin in zwei «Ateliers» empfangen, abgestimmt auf die beiden Erfahrungswelten und auf die Reflexion über antik-römische bzw. über jüngere Migrationserfahrungen. Bloss: Während für die Arbeitsstunde rund um die römische Inschrift genügend passende Materialien aus der (museumspädagogischen) Schublade gezaubert werden können, stellte sich heraus, dass für die Arbeit am Thema Migration nicht genügend schriftliche Materialien vorhanden waren, die sich spezifisch auf Italien beziehen (in unserem Fall Biographien, die von den Schüler:innen mit Exponaten in der Ausstellung in Verbindung gebracht werden sollten); zumindest nicht in genügender Anzahl, um sieben Dreiergruppen mit parallelen Arbeitsaufträgen zu beschäftigen. Dies hatte zur Folge, dass ich innert der verbleibenden Woche noch überlegen musste, welche neuen Themenfelder die Ausstellungsexponate abdecken, dazu musste ich fünf historische Persönlichkeiten finden und ihre Biographie verfassen.  Selbstredend lagen am Tag der Exkursion sämtliche Materialien vor. Alle profitierten viel, der Erkenntnisgewinn war gross, der Halbtag war unter dem Strich ein Erfolg. Die Vorbereitungen? Ein Lernparcours in jeder Hinsicht.

 


Tiziana Carraro unterrichtet am LG Italienisch
Illustration: Kian Spillmann