SKIZZE

Partizipative Arbeitswochen

 

Die Redaktion hat zwei Schülerinnen der Oberstufe gebeten, ihre «Traumarbeitswoche» zu skizzieren und hierfür ihre Wünsche und Entscheidungen kurz zu begründen. Darauf antwortet eine Lehrperson, welche den Dialog aufnimmt und auf die zentralen Aspekte eingeht.
 


 

von Faida Kazi, Mia Simonovic

 

Fächer: Italienisch und BG

Region: Nachbarländer, kleiner Ort (besser für den Klassenzusammenhalt), bevorzugterweise am Meer

Vorschlag: Toscana

Mit Sprachen verbinden wir automatisch Kulturen und gewisse Traditionen sowie kulinarische Spezialitäten. Es ist lehrreich und spannend, einen Einblick in diese kulturellen Besonderheiten einer Sprache zu erhalten. Dies ist eine Möglichkeit, wie die Schüler:innen eine persönliche Bindung und individuelles Interesse aufbauen können. Für uns wäre, nicht zuletzt wegen unseres Schwerpunktfachs, unser südliches Nachbarland Italien prädestiniert für eine Arbeitswoche.

Das Land weist eine vielfältige Landschaft auf und ermöglicht unterschiedliche Arten von Unternehmungen. Zum Beispiel könnte man ans Meer fahren, so wie dies unsere Klasse 5a im Herbst 2022 gemacht hat. Die Woche auf der Insel Giglio war grandios.

Es gibt allerdings auch viele kleinere Städte in Italien, die man besuchen könnte. In der Toscana könnte man sich zum Beispiel in einen kleinen Ort am Meer stationieren und von dort aus jeweils Ausflüge in Städte wie Florenz oder Pisa unternehmen.

In Verbindung mit dem Fach BG liegt es aus unserer Sicht aber nahe, diese Städte zu besuchen. Denn Italien hat zahlreiche berühmte und bedeutende Künstler:innen, die in die Kunstgeschichte eingegangen sind. Man könnte sich zum Beispiel im Vorfeld mit Künstlern wie Leonardo da Vinci, Michelangelo Buonarotti, Giovanni Bellini oder Sandro Botticelli auseinandersetzen und vor Ort deren Arbeiten anschauen und somit während der Arbeitswoche gewisse Originalwerke betrachten oder auch die Umgebung der Künstler:innen kennenlernen.

Das Fach BG ermöglicht eine grosse Bandbreite an spannenden Aufträgen, die für die Schüler:innen weit genug vom Schulalltag entfernt sind. Gemälde, Häuser oder Landschaften abzeichnen sowie Museen oder andere Sehenswürdigkeiten zu besuchen, eignen sich hierfür etwa.
In unserer Arbeitswoche auf der Insel Giglio haben wir gemerkt, dass die Klasse gemeinsam mehr unternimmt, wenn lediglich wenige Freizeiangebote vorhanden sind. In einer grossen Stadt gibt es stattdessen zahlreiche Möglichkeiten, sodass   Schüler:innen eher ihren eigenen Interessen nachgehen und sich die Klasse in kleine Gruppen aufteilt. Daher plädieren wir für einen kleineren Ort.

Last but not least, in Italien kann man auch im Herbst noch im Meer baden. Dies ist sicherlich ein weiterer Punkt, welcher die Schüler:innen begeistern würde. Am Abend am Meer sitzen und die letzten Sommertage bei einem Pizzaabend geniessen, während zu Hause schon der Herbst eingezogen ist, würde ebenfalls zur schönen Erinnerung beitragen.

Mia und Faida, 5a

 


 

von Arianne Lüthi

 

Liebe Mia und Faida

Sie wünschen sich eine Arbeitswoche in Italien, in einer kleineren Stadt, idealerweise am Meer, am liebsten in der Toscana. Die vorgeschlagene Fächerkombination ist perfekt, mit Italienisch und BG kann man in jedem Fall eine vielversprechende Woche planen. Nun ist es aber oft so, dass sich unsere Träume der Realität anpassen müssen. Dies ist auch hier der Fall: Leider ist im geplanten Zeitfenster eine Arbeitswoche mit unseren LG-Italienisch-Lehrpersonen nicht möglich, da diese zu diesem Zeitpunkt bereits mit einer anderen Gruppe verreisen respektive nicht disponibel sind. Deshalb müssen wir umdenken.
Erklärtes Ziel ist die Partizipation der Klasse an der Planung, damit möglichst alle in eine Aktivhaltung gebracht werden. Allerdings bedeutet gemeinsames Planen eben auch, Kompromisse einzugehen und passende Möglichkeiten zu prüfen. Ich suchte daher nach einer valablen Alternative, die möglichst nah an Ihrem Vorschlag bleibt.


Menton – Ventimiglia: französische und italienische Riviera

Mein neuer Vorschlag: die italienische Riviera von der französischen aus entdecken oder umgekehrt. Dazu eignen sich ganz speziell zwei kleine Städte an der französisch-italienischen Grenze, Menton (ca. 30‘000 Einwohner:innen) und Ventimiglia (französisch Vintimille, ca. 23‘000 Einwohner:innen). Mit dem Zug kommt man ebenso gut von Zürich nach Menton wie nach Ventimiglia (die Reise dauert jeweils rund 10 Stunden), eine passende, bezahlbare Unterkunft lässt sich sowohl auf der französischen wie auf der italienischen Seite finden.
Menton, die Hauptstadt der Zitronen, ist der östlichste französische Ort an der Côte d’Azur, deren Stadtteil Garavan direkt an die italienische Grenze stösst. Das italienische Flair ist überall zu spüren, sei es wegen der pastellfarbenen Häuserfassaden, der vielen Autos mit italienischen Nummernschildern, der italienischen Stimmen in Strassen und Cafés, gleichzeitig ist die französische Zugehörigkeit deutlich sichtbar.
    
Rund 11 Kilometer trennen die beiden Stadtzentren (15 Minuten mit dem ÖV, 40 Minuten mit dem Fahrrad, 2h30 zu Fuss). Stadtmauern, Stadttore, Reste der Thermen sowie des Amphitheaters zeugen davon, dass Ventimiglia ursprünglich eine wichtige Station an der Via Julia Augusta nach Gallien war. Der Botanische Garten Hanbury (18 Hektaren, seit 1867 nahe der französischen Grenze) gehört seit 2006 zum UNESCO-Welterbe und thront über dem ligurischen Meer. In Verbindung mit dem Fach Geschichte wäre es interessant, historische Konflikte zu analysieren. So war Menton 1940 bis 1943 durch das italienische Königreich besetzt, bevor es 1943 nach der Kapitulation Italiens von den deutschen Truppen okkupiert wurde. Die Region Ventimiglia hingegen wurde 1945 nach der Kapitulation der deutschen Armee provisorisch durch französische Truppen besetzt, welche sich wenig später auf Druck Amerikas zurückzogen. Fokussiert man auf die aktuelle Lage, geht es hauptsächlich um Flucht- und Migrationsbewegungen über das Mittelmeer, welche Ventimiglia mit dem Schicksal zahlreicher Flüchtlinge konfrontiert, denen die Weiterreise nach Frankreich erschwert bzw. verweigert wird.

Zwei Grenzstädte am Meer, Berge in Reichweite, lediglich ein halbtägiger Fussmarsch – grösstenteils der Küste entlang – von Monaco entfernt. Klimatisch wäre der Zeitpunkt der 1. LG-Woche ideal, um nach Menton-Ventimiglia zu reisen und die italienische und die französische Riviera kennenzulernen. Zudem locken auch die Bergdörfer («les villages perchés»), die, hoch oben liegend, traumhafte Aussicht versprechen. Diese Gegend mit ihren Landschaften, Kirchen und Häusern eignet sich selbstredend für BG, aber auch Geographie, Biologie, Sport oder andere Fächer kämen ebenfalls in Frage. Unabhängig mit welcher Fächerkombination man diese malerische Gegend bereist, fänden eine längere Wanderung sowie sportliche Aktivitäten bestimmt einen sinnvollen Platz im Programm.

Fazit: Menton als Alternative, um die italienischste Stadt Frankreichs zu erkunden, deren optimale Lage es ermöglicht, Tagesausflüge nach Italien zu unternehmen (z.B. Bootstour, Cinque Terre) oder auch die Côte d’Azur und das bergige Hinterland kennenzulernen. Es wäre zwar nicht die Toscana, aber immerhin die pittoreske französische und italienische Riviera. Mit Menton und Ventimiglia vergleicht man zwei interessante Grenzstädte, deren Kulturen einerseits verschieden und andererseits doch erstaunlich ähnlich sind.


Interkultureller Austausch

Aufenthalte in anderen Kulturkreisen bieten zahlreiche Lernsituationen – man spricht von interkulturellem Lernen. Es gilt, sich im unbekannten Umfeld zurechtzufinden – und dies auch bei einer Arbeitswoche im Klassenverband, nicht nur bei individuellen Auslandaufenthalten. Interkulturelles Verstehen will jedoch gelernt sein: Ohne gezielte Reflexion der eigenen und der fremden Kultur und ohne interkulturelles Wissen sind Verstehen und persönliche Entwicklung nicht möglich, wie Stefan Kammhuber, Experte für interkulturelle Kompetenzen an der Ostschweizer Fachhochschule, meint. Movetia, die nationale Agentur für Austausch und Mobilität, unterstützt Workshops zur interkulturellen Vorbereitung und Weiterbildung, auch für Schulklassen. Vielleicht wäre dies mittelfristig etwas für unser Gymnasium? Derartige Workshops machen konkret sichtbar, was die Erfahrung einer anderen Sprach- oder Kulturregion bringt: Interkulturelle Begegnungen ermöglichen etwa, wichtige Kompetenzen zu entwickeln wie Selbstwirksamkeit oder Umgang mit Unsicherheit. Man hinterfragt Stereotype und Vorurteile oder reflektiert, wie die eigene kulturelle Identität die Wahrnehmung und die Bewertung anderer Kulturen beeinflusst. Interkulturelle Handlungskompetenz will geübt sein und das geht durch direktes Erleben, am besten zum Beispiel im Rahmen einer von den Schüler:innen mitorganisierten Arbeitswoche.

Arianne Lüthi

 

 


Bild: Lorenz Leumann