FORSCHUNG

Wood Wide Web

 

von Lena Peter

 

Wenn Bäume durch Pilze sprechen

Wir alle nutzen täglich das Internet. Wir können mit unseren Freunden sprechen, obwohl sie am anderen Ende der Welt sind. In der Meteo-App können wir das Wetter abrufen. Wir können sogar Geld über unser Handy verschicken. Wir haben uns ein Netzwerk erschaffen, welches es uns ermöglicht, zu kommunizieren und Informationen auszutauschen, ohne dass wir am selben Ort sind.

Was wir erst in den letzten Jahren erfunden haben, kann unser Wald allerdings schon, seit es Pflanzen auf unserer Erde gibt. Durch das Wood Wide Web, auch Internet des Waldes genannt, haben Bäume ähnliche Möglichkeiten wie wir, wenn wir das Internet nutzen. Doch wie funktioniert das?

Das Wood Wide Web besteht aus Wurzeln und Pilzen. Diese Pilze heissen Mykorrhizapilze – Steinpilz, Fliegenpilz oder Knollenblätterpilz gehören zu dieser Pilzart. Der bekannte Stiel mit Hut stellt lediglich den Fruchtkörper des Pilzes dar. Der eigentliche Pilz befindet sich unter der Erde. Bildlich ist er vergleichbar mit der Spitze eines Eisberges im Meer. Beim Pilz besteht dieser unsichtbare Teil aus Abertausenden von Kilometern Pilzfäden unterhalb nur eines Quadratmeters.

Es gibt auch Pilze, die keine Fruchtkörper oberhalb der Erde bilden und nur aus Pilzfäden bestehen. Gerade diese Pilzfäden sind von zentraler Bedeutung, wenn es um das Wood Wide Web geht. Sie umhüllen die Baumwurzeln und dringen zum Teil in sie ein. Die Kooperation beginnt! Der Pilz kann mit seinen feinen Pilzfäden den Boden viel besser durchdringen als der Baum mit seinen Wurzelspitzen. Dem Pilz fällt es also leichter, Nährstoffe wie Stickstoff oder Phosphor, welche beide lebenswichtig für den Baum sind, aus dem Boden zu holen. Diese Nährstoffe und auch Wasser stellen die Pilze den Bäumen zur Verfügung. Sie machen dies aber nicht ohne Gegenleistung, sondern profitieren ebenfalls vom Zusammenleben. Der Baum stellt dem Pilz nämlich im Gegenzug Zucker zur Verfügung, den die Pilze nicht selbst synthetisieren können. Diese Kooperation beziehungsweise Symbiose ist essenziell sowohl für das Leben des Pilzes als auch das des Baumes.

Noch wichtiger als für unsere Wäldern ist diese Zusammenarbeit für den Regenwald. Weil er Boden dort nur eine geringe Menge an Nährstoffen kann, muss s der grösste Teil der Nährstoffe von den Pflanzen gespeichert werden. Die wenigen Nährstoffe, die im Boden vorhanden sind, müssen daher von den Pflanzen schnell aufgenommen werden, bevor der Regen den Boden auswäscht. Dies ist nur mit Hilfe der Mykorrhizapilze möglich. Wenn es also Regenwälder abgeholzt werden, gehen die Nährstoffe verloren, da sie in den Bäumen gespeichert sind, und auch die Mykorrhizapilze verschwinden. Es ist danach folglich unmöglich, den Regenwald wieder aufzuforsten.

Der Austausch von Wasser und Nährstoffen zwischen Baum und Pilz stellt aber noch nicht das ganze Wood Wide Web dar. Eine andere Funktion der Kooperation zwischen Mykorrhizapilz und Baum ist der Schutz des Baumes vor Frost oder Trockenheit. Das Wood Wide Web ermöglicht aber nicht nur die Kooperation und Kommunikation von Baum zu Pilz, sondern auch die von Baum zu Baum – via Pilz.  Da sich die Pilzfäden über den ganzen Waldboden erstrecken, können mehrere Bäume über Hunderte von Metern miteinander verbunden sein. Hierbei spielt es keine Rolle, von welcher Art diese Bäume oder Pilze sind. Es gibt jedoch Bäume und Pilze, die sich besser vertragen und so auch öfter in Kombination miteinander vorkommen. Vielleicht haben Sie schon vom Lärchenröhrling oder vom Birkenröhrling gehört? Wie schon ihre Namen sagen, sind sie häufiger zusammen mit Lärchen respektive Birken anzutreffen. Generell hat es an den Wurzeln jeden Baumes viele verschiedene Arten von Mykorrhizapilzen.

Dadurch, dass Bäume miteinander durch Pilzfäden im Wood Wide Web verbunden sind, können sie untereinander kommunizieren. Der Informationsaustausch findet durch die Aussendung von chemischen Botenstoffen, sogenannten «infochemicals», statt. Die Bäume sprechen miteinander also durch den Pilz! So kann beispielsweise eine Tomatenpflanze, die von einer Infektion befallen ist, eine benachbarte Tomatenpflanze vor dieser Infektion warnen, sodass diese schon Abwehrstoffe produziert, noch bevor sie befallen wird. Dies funktioniert in Versuchen nur dann, wenn die Tomaten untereinander mit Mykorrhizapilzen verbunden sind. Eine weitere Art, wie Pflanzen kommunizieren, sieht man bei einem Befall von Läusen. Ist eine Pflanze von Läusen befallen, so kann sie Duftstoffe aussenden, welche Wespen anlocken, die als natürliche Feinde diese Läuse fressen. Auch hier kann die befallene Pflanze anderen Pflanzen, die durch Mykorrhizapilzen mit ihr verbunden sind, Signale senden. Diese Signale bewirken, dass sogar nicht befallene Pflanzen präventiv Duftstoffe aussenden, um Wespen anzulocken. Es gibt aber auch Pflanzen, die das Wood Wide Web nicht nutzen, um anderen zu helfen, sondern im Gegenteil, um ihnen zu schaden. Ein Beispiel ist der Schwarznussbaum. Dieser schickt durch das Netzwerk den umliegenden Pflanzen Signale, die deren Wachstum und Wasseraufnahme hemmen. Der grösste Teil der Kommunikation läuft dabei durch chemische Botenstoffe ab. Es wurde in Studien jedoch auch elektrische Kommunikation zwischen Pilzen entdeckt, welche eine zusätzliche Art Sprache im Internet des Waldes darstellen. 

Vermittels Pilzfäden sind Bäume zudem in der Lage, ihren eigenen Keimlingen oder auch anderen Bäumen im gleichen Netzwerk Zucker zu schicken. Durch diesen Zucker können die Keimlinge dann schneller wachsen.

Vielleicht haben Sie sich schon einmal gefragt, warum im Wald trotz derart unterschiedlicher Bedingungen so viele gleich kräftige Bäume wachsen. Wie können die Bäume gleich gut gedeihen, obwohl an ihren verschiedenen Standorten nicht die gleichen Bedingungen in Bezug auf Sonne und Nährstoffzugang herrschen? Das Wood Wide Web könnte hierfür eine Erklärung sein, denn durch dieses könnten die Nährstoffe gleichmässig unter den Bäumen verteilt werden.

Die Kommunikation und der Nährstoffaustausch durch das Wood Wide Web könnte in der Landwirtschaft bahnbrechende Neuerungen bewirken. Durch den vorzeitigen Schutz vor Läusen oder einer Infektion könnte auf Pestizide verzichtet werden. Die angebauten Pflanzen würden zusätzlich durch die Mykhorrizapilze vor Frost und Trockenheit geschützt. Der Schutz gegen Trockenheit könnte insbesondere aufgrund des Klimawandels wichtig werden. Wenn es trockener wird und es sogar häufiger zu Dürren kommt, dann könnten die Mykhorrizapilze eine entscheidende Rolle beim Überleben der Pflanze spielen. Zudem müsste dank des Nährstoffaustauschs weniger Dünger eingesetzt werden und es könnte trotzdem effizient angebaut werden!

Ohne Pilze würde es mithin den Wald in dieser Form nicht geben. Ohne sie wäre er viel anfälliger für Trockenheit, Frost oder Nährstoffmangel. Allerdings gibt es noch viel zu erforschen über dieses faszinierende unterirdische Netzwerk. Auch wenn einzelne Studien die Kommunikation schon bestätigt haben, ist momentan noch vieles unklar. So gibt es auch Kritik an dieser These, etwa dass die Vorstellung, dass Bäume miteinander kommunizieren, die Pilze als deren Vermittler vermenschliche. Dadurch stösst diese These zwar in der Öffentlichkeit auf grosses Interesse, aber zum jetzigen Zeitpunkt gibt es noch keine Studien, die abschliessend beweisen, dass diese Kommunikation zwischen Pflanzen tatsächlich stattfindet. Umgekehrt gibt es keine Beweise, dass es diese Kommunikation nicht gibt.

Seit Pflanzen auf der Erde wachsen, gibt es auch Mykorrhizapilze und somit Symbiose. Angesichts all der Vorteile, welche diese mit sich bringt, stellt sich die Biologie die Frage, ob in der Evolution nicht die Kooperation der entscheidendere Faktor ist als der Wettbewerb. Ist es nicht eine schöne Vorstellung, dass die Zusammenarbeit viel wichtiger ist als der Konkurrenzkampf? Wenn dies für Pilze und Bäume gilt, dann hoffe ich sehr, dass es auch auf uns Menschen zutrifft – im Internet, in der Politik und generell in der Gesellschaft. Deshalb: Lernen wir aus der Kooperation und der Sprache zwischen Bäumen und Pilzen!

 


Lena Peter (6c) hat eine Maturarbeit mit dem Titel „Das «Internet des Waldes» im Klimawandel“ verfasst.
Illustration: Victoria Schaller