BERICHT

Alphatiere, Madenhacker oder Schwarmfische?

 

von Sandy Röthlisberger

 

Was lehrt uns die Tierwelt über das Zusammenarbeiten am Rämibühl? Sind wir Menschen Alphatiere, die ihr Rudel anführen, oder eher Schwarmfische, welche durch kollektive Intelligenz glänzen? Kann es gar sein, dass unser Verhalten den geselligen Madenhackern ähnelt, die ein Leben in gegenseitiger Abhängigkeit mit afrikanischen Wildtieren führen?

Zu Beginn einige Fakten über das Arbeitsleben des sechsköpfigen Biologie-Teams am Rämibühl: Wir bereiten Praktika vor, pflegen den Schulgarten, züchten Pflanzen, kümmern uns um die Logistik und die fachgerechte Entsorgung chemischer und organischer Abfälle, wir organisieren leere Eiscremebehälter zur Wiederverwendung als Autoklavierdose, betreuen Schüler:innen, welche den Anblick von Blut nicht ertragen, wir führen alle Bestellungen aus, reparieren defekte Modelle, züchten diverse Organismen, kümmern uns um die Tierpflege unter Berücksichtigung aktueller Tierschutzbestimmungen und befragen in regelmässigen Abständen die Glaskugel, um zu wissen, was die Lehrpersonen effektiv vorbereitet haben wollen.

Jedes Mitglied aus dem Biologie-Team kümmert sich um seinen jeweiligen Bereich. Die Biologie ist vielschichtig und wir sind in der feudalen Lage, in mehreren Fachgebieten einen Profi vor Ort zu haben, welcher als Alphatier den Lead im jeweiligen Ressort übernimmt. Trotz unserer Individualität und unserer unterschiedlichen Ausbildungsrichtungen agieren wir harmonisch in der Gruppe. Wir lernen voneinander und werden zu Allroundern.

An unserer Schule arbeitet Tobias Takke, der im Teilzeitpensum auch in der Stadtgärtnerei Zürich als Bildungsgärtner Besichtigungen durchführt. In seiner 40%-Anstellung am Rämibühl ist er verantwortlich für die Pflege des Schulgartens, die Gewächshäuser mit ihrer umfassenden Pflanzenzucht und der Betreuung der Aquarien. Er bietet uns regelmässig Einblick in die Pflanzenwelt mit enthusiastischen und spannenden Erklärungen. Sicherlich helfen dabei auch Fachausdrücke wie «Greisenbart», «Elefantenfuss» oder «Vodoo», um sich die Pflanzenarten besser merken zu können. Bei «Vodoo» handelt es sich beispielsweise um eine Fuchsiensorte, welche Tobias uns zeigte und welche aufgrund ihrer grossen Blüten uns in Erinnerung bleiben wird. Das lebendige und fachliche Training, welches Tobias Takke der Crew angedeihen lässt, trägt Früchte. So weiss das Team, welche Pflanzen für den Unterricht geeignet sind und wie diese gepflegt werden müssen.

Genauso spannend ist es, wenn die Tierpflegerinnen Jasmin Jäggi und Zina Bogdanova das Handling mit Schlangen, Spinnen und Echsen vorzeigen. Anfangs gab es Momente, in denen sich ein Teil des Biologie-Teams, etwa beim Füttern von Kornnattern, am liebsten kreischend in eine Ecke verzogen hätten. Hierbei muss man wissen, dass Schlangen zur Fütterung immer in eine Fütterungsbox ausserhalb ihres Terrariums gebracht werden und ihnen dann mit einer langen Pinzette das tote Futtertier vors Maul gehalten wird – also Action pur. Das auswärtige Füttern ist wichtig, damit in den Terrarien mit den Händen gearbeitet werden kann (Reinigung, Wasserwechsel), ohne einen Biss fürchten zu müssen. Mit Ruhe, Geduld und Hilfestellung der Tierpflegerinnen konnten auch diese menschlichen Urängste bezwungen werden, sodass alle Teammitglieder in der Lage sind, jede Tierart fachgerecht zu versorgen und auf Tiergesundheit und Hygiene zu achten. Die Kornnattern wurden letztes Jahr übrigens an Schlangenliebhaber abgegeben, da ihre Terrarien zu eng wurden und ein Ausbau nicht realisiert werden konnte.

In hektischen Zeiten werden die Tierpflegerinnen und der Bildungsgärtner in die Vorbereitung eingebunden. Dies umfasst auch Berechnung, Herstellung und Umgang von beziehungsweise mit zahlreichen Gebrauchslösungen (verdünnte Salzsäure, Natronlauge, Wasserstoffperoxid, Färbelösungen für die Mikroskopie etc.).Und last, but not least: Die Praktika-Vorbereiterinnen. Bunt zusammengewürfelt aus Quereinsteigerinnen. Ich, Sandy Röthlisberger, aus dem Bereich Chemie mit Schwerpunkt Molekularbiologie und Genetik, Sibylle Schwarz aus der Medizin mit Fokus auf virologischer Forschung und Melanie Dominguez Penso in Funktion als Laborassistentin und Tierpflegerin.

Aufgrund der vielseitigen Unterrichtsthemen variiert das benötigte Praktikumsmaterial stark. Eine Auflistung aller Praktika würde den Rahmen sprengen, aber vom Bereitstellen tierischer Organe und Pflanzen zur Sektion, Herstellung chemischer Gebrauchslösungen (Mikroskopie, Dünnschichtchromatographie, Katalase etc.), über die Züchtung von Insekten für Verhaltensversuche und Bakterienkulturen bis hin zur Fertigung von Agarplatten für die Mikrobiologie ist alles verlangt.

Einiges an verbrauchten Praktikumsmaterialien muss im Anschluss fachgerecht entsorgt werden. Chemische und organische Abfälle werden gesammelt und durch eine Entsorgungsfirma abgeholt. Bakterienkulturen müssen abgetötet werden, damit sie keine Gefahr für Mensch und Tier darstellen. Aus diesem Grund werden im Monat mehrfach die Flure des Naturwissenschaftsgebäudes mit dem betörenden Duft autoklavierter Bakterien geflutet. Die Reaktion der Schüler:innen bleibt, wie auch bei einer Fischsektion, vorhersehbar. Lautstark wird diskutiert, woher der Geruch stinkender Socken wohl käme und wie unzumutbar dieser Gestank sei. Diese Vorstellung findet meistens mittwochs statt und alle Rämibühler:innen sind herzlich dazu eingeladen, diesem Schauspiel beizuwohnen.

Wir als Biologie-Team erarbeiten, im Rahmen unserer Kompetenzen, neue Konzepte, um Aspekte der Biologie anschaulich, verständlich und auch artgerecht präsentieren zu können. Unsere Bereitschaft zur Zusammenarbeit geht dabei weit über die Biologie am Rämibühl hinaus. Die Kooperation mit den Assistenzen der Physik und der Chemie, den Lehrpersonen anderer Schulen, der Stadtgärtnerei, Zoofachhandlungen sowie Universitäten ist zweifellos ein Erfolgsmodell. Durch die Nutzung des breitgefächerten Netzwerkes, bestehend aus Spezialist:innen diverser Bereiche, können deren Stärken in unsere Arbeitsweise eingebunden und unser Fachwissen nach aussen getragen werden.

Speziell eng ist unsere Verbindung mit der Stadtgärtnerei Zürich und der Universität Zürich. Regelmässig bekommen wir aus der Stadtgärtnerei verschiedene Pflanzen, welche wir für den Unterricht verwenden können. Ebenso haben unsere Rotwangenschildkröten im Tropenparadies der Stadtgärtnerei ihr neues Zuhause gefunden, da das Rämibühl nach der Überarbeitung der Tierschutzverordnung keine Bewilligung zur Haltung von Rotwangenschildkröten mehr besass. Die Universität Zürich liefert uns Glasware und ausgediente Geräte, welche nicht mehr der Norm entsprechen. Am Rämibühl erleben die Klimakammern, PCR-Maschinen, Gel-Imager und die Clean Bench ihren zweiten Frühling und eröffnen damit den Lehrpersonen neue Praktikumsmöglichkeiten.

Was lernen wir nun aus dem Tierreich über die Zusammenarbeit am Rämibühl? Die Antwort ist einfach: Ohne Führung eines Alphatieres fehlt die Übersicht, welche Zusammenarbeit der Madenhacker gerade eingehen will und welche durch die Schwarmintelligenz erfolgreich umgesetzt wird.

 


Sandy Röthlisberger ist Biologieassistenz an den Rämibühlschulen.