BERICHT

Aus dem Labor in den Unterricht

 

von Rolf Sommerhalder

 

Die Schüler:innen betreten das Schulzimmer, welches treppenförmig als Vorlesungszimmer gebaut ist. Sie setzen sich auf die Klappsitze der engen Bankreihen – gleich beginnt der Unterricht. In dieser Stunde wird sich alles um die Lorentz-Kraft aus dem Gebiet des Elektromagnetismus drehen. Vor dem Lehrerpult steht ein Wagen mit etwa fünf verschiedenen Gerätschaften (Abb. 1). Die Geräte sind über verschiedenfarbige Kabel miteinander verbunden: Strom- und Spannungsmessgeräte, Spannungsquellen, zwei grosse Spulen und das Herzstück, das wie eine Kristallkugel aussieht. Doch selbstverständlich wird keine Wahrsagerei im Physikunterricht behandelt. Mit diesem Experiment wird das Polarlicht nachgeahmt, was mindestens so faszinierend ist wie eine Prophezeiung. Der Versuchsaufbau und die Gerätschaften sind entsprechend komplex. In der mit Gas gefüllten Glaskugel wird ein Elektronenstrahl erzeugt. Treffen die Elektronen auf die Gasmoleküle, so werden die Gasmoleküle angeregt und senden Licht aus. Der Elektronenstrahl wird auf diese Weise durch das Licht der Gasmoleküle sichtbar gemacht. Das Experiment beginnt aber erst jetzt: Lässt man durch die beiden grossen Spulen elektrischen Strom fliessen, wird aus dem geraden Elektronenstrahl auf einmal eine kreisförmige Elektronenbahn. Die Elektronen müssen also durch eine Kraft aus ihrer geraden Bahn abgelenkt werden. Diese Kraft ist die sogenannte Lorentz-Kraft. Sie wirkt, wenn sich geladene Teilchen durch ein Magnetfeld bewegen. Das Magnetfeld wird durch die beiden grossen Spulen erzeugt, durch die Strom fliesst. Analog ist es beim Polarlicht. Die unterschiedlichen Gase der Erdatmosphäre geben unterschiedliche Farben ab, wenn sie von einem Teilchen, das von einem Stern aus unserem Universum stammt, angeregt werden: grün bei Sauerstoff, rot und blau bei Stickstoff.

Aber wie kommen die Experimente ins Schulzimmer? Einfachere Experimente aus dem Gebiet der Elektrodynamik, wie zum Beispiel die «Wirkung des elektrischen Stromes» (Abb. 2), stellen die Lehrpersonen selbständig gemäss ihren Bedürfnissen auf. Da hat jede Lehrperson ihre eigene Vorstellung, wie der Versuch auszusehen hat. Grössere und aufwändigere Versuche wie die «Elektronenwaage» sind indes meist gleich aufgebaut. Solche Versuche können die Lehrpersonen über die Homepage www.raemilab.ch bestellen.

Durch die Kooperation mit Patrik Weber, einer Lehrperson des MNG, konnten wir das Programm raemilab.ch innert kürzester Zeit an den Rämibühlschulen einführen. Wir Physikmechaniker lieferten die Ideen und Daten, Patrik Weber programmierte und setzte unsere Ideen um. Im raemilab.ch  sind nun nahezu 500 Experimente beschrieben und rund 4‘500 Komponenten erfasst. Ausserdem sind auf raemilab.ch alle Stundenpläne hinterlegt, was die Organisation stark vereinfacht. Mit dem Bestellsystem können die Lehrpersonen die Experimente jederzeit auch bequem von zuhause aus anfordern. Für uns Physikmechaniker sind die Bestellungen jeweils auf einer Wochenübersicht sichtbar. So behalten wir den Überblick und können die Bestellungen zum richtigen Zeitpunkt im richtigen Zimmer aufbauen. Seit wir das Programm benutzen, ist das Arbeiten um einiges einfacher geworden.

Zwischen den sechs Physik-Schulzimmern stehen vier lange Reihen mit Vitrinen. Die Vitrinen sind gefüllt mit den verschiedensten Komponenten. Genau gleich wie die Experimente sind auch die Komponenten nach Möglichkeit in die wichtigsten Gebiete der Physik eingeteilt. Die von den Lehrpersonen angeforderten Experimente werden aus diesen Komponenten zusammengestellt. Die Physikmechaniker drucken sich die Anleitungen der Experimente aus, nehmen die Komponenten aus den Vitrinen und legen sie auf einem Wagen bereit. Danach bauen sie das Experiment auf und testen es, damit es im Unterricht funktioniert. Während der Pausen wird das Experiment ins Schulzimmer gefahren und aufgestellt. Nach der Unterrichtstunde werden die Experimente wieder abgebaut und die Komponenten in die richtigen Vitrinen versorgt.

Damit alles reibungslos funktioniert, sind wir auf eine gute Zusammenarbeit mit den Lehrpersonen angewiesen. Das funktioniert im Physikinstitut hervorragend, auch wenn ab und zu etwas während der Stunde nicht wie gewünscht gelingt. Dann schauen die Lehrpersonen mit uns Physikmechaniker nach, woran das Experiment gescheitert ist. Es kann daran liegen, dass wir die Komponente falsch verkabelt haben, dass es die Sicherung eines Netzgeräts ausgelöst hat oder dass ein Gerät falsch bedient wurde. Damit möglichst wenig schiefläuft, sind wir laufend daran, die Anweisungen im raemilab.ch zu überarbeiten. Auch werden die Experimente ausgebessert, repariert oder es werden neue gebaut. Immer in Absprache mit den Lehrpersonen.

Viele Komponenten sind im raemilab.ch mit Fotos und Hintergrundinformationen hinterlegt. Die älteste Komponente stammt aus dem Jahre 1839 und ist ein sogenanntes Psychrometer nach August zur Bestimmung der Luftfeuchte. Bis die Sammlung der Komponenten komplett inventarisiert ist, steht noch viel Arbeit an. Da sind wir immer wieder froh, wenn Schüler:innen sich bereit erklären, uns während der Ferien zu helfen, indem sie Fotografien beschriften oder Dokumente einscannen.


Rolf Sommerhalder ist Unterrichtsassistent in der Physik.
Bild: Elena Benzoni