GESPRÄCH

DIGITAL UND AUTOGEN

 

von Sonja Binz und Nicole Burian

 

Dem Literargymnasium Rämibühl ist es ein Anliegen, eine gesunde Mischung zwischen analogen und digitalen Lernformen zu etablieren und einen bewussten Umgang mit digitalen Medien zu fördern. Im Zusammenhang mit der Einführung von BYOD tauchten unter anderem die folgenden Fragen auf: Wo macht digitales Lernen Sinn, wo analoges? Welche Kompetenzen werden durch die digitalen Medien gefördert, welche eher gehemmt? Welche Risiken bringen sie mit sich, welche Chancen? Ist Sucht ein Thema? Können sie gesundheitsfördernd eingesetzt werden? Im Schuljahr 22/23 wird in einem grösseren Projekt diesen und weiteren Fragen nachgegangen und ein Konzept mit Leitlinien und Vorschlägen erarbeitet werden.  

Die Antworten dieser Untersuchungen möchten wir Ihnen in Zukunft liefern, vorerst wollen wir einer Schülerin das Wort geben, um den veränderten Schulalltag aus Sicht einer «Betroffenen» geschildert zu bekommen. Rosalie Gerber untersucht in ihrer Maturaarbeit zwei gesundheitsfördernde Techniken – das autogene Training und die Meditation – und vergleicht, wie sich diese unterscheiden, wenn man sie digital geleitet durchführt oder durch Personen angeleitet vor Ort.  


Rosalie, Sie beschäftigen sich in Ihrer Maturarbeit mit dem autogenen Training und der Zen-Meditation. Weshalb interessiert Sie genau dieses Thema?

Digitale Medien faszinieren mich. Ich erlebe zudem, dass sie meinen Alltag erleichtern. Als ich vor ein paar Jahren begonnen habe, zu meditieren, habe ich mich an Meditationsanleitungen von Spotify-Podcasts orientiert. Das Ziel einer Meditation ist allerdings nicht, sich Anweisungen anzuhören und diese zu befolgen, sondern den Kopf aus eigener Kraft von störenden Gedanken freizubekommen. Bekannt ist, dass digitale Medien ein Ablenkungsfaktor sind. Da stellte sich mir die Frage: Ist es nicht ein totaler Widerspruch, auf das “ablenkende“ Handy angewiesen zu sein, um zu meditieren?
Auch für das autogene Training war ich über ein Jahr auf das Handy angewiesen. Natürlich steht auch dies nicht im Einklang mit der Grundidee des autogenen Trainings: Es geht vielmehr darum, Suggestionen von jemand anderem zu lernen, um sie danach an sich selbst anzuwenden. Obwohl das autogene Training aus einer Zeit stammt, in welcher es noch keine digitalen Medien gab, sah ich keinen Grund, warum das digitale autogene Training schlechter als das analoge funktionieren sollte. So kam ich auf die Idee, auch Versenkungsmethoden in digitaler Form in den Vergleich miteinzubeziehen. Ich will nun herausfinden, wo die Unterschiede, aber auch die Gemeinsamkeiten einer analogen und digitalen Version liegen. Ich mache das Ganze als Selbstversuch und befasse mich daneben auch mit dem theoretischen Hintergrund der beiden Praktiken.


Können Sie uns bereits erste Erkenntnisse aus Ihrer Forschung schildern?  

Da ich noch mitten in der Selbstversuchs- und der Nachforschungsphase bin, kann ich mich noch nicht dazu äussern. Ich nehme aber an, dass digitale Versionen anders, aber nicht weniger effektiv sein könnten.

 
Wir haben als Schule im Schuljahr 2021/22 BYOD eingeführt. Inwiefern hat sich für Sie etwas geändert? Wie haben Sie diesen Umstieg aus Schülerperspektive erlebt?

Für mich persönlich hat sich nicht viel verändert, weil ich schon zuvor Zusammenfassungen für Prüfungen oder gewisse Arbeiten auf dem iPad gemacht habe. Was ich am Anfang, und heute manchmal immer noch, mühsam finde, ist, wenn nicht alle Informationen auf der gleichen Plattform zu finden sind. Gewisse Lehrpersonen kommunizieren nur via Teams, andere via E-Mail und dritte weder noch. Ich fände da eine klare Regelung von Vorteil.
Ich habe auch mit einigen meiner Freund:innen gesprochen: Für sie erleichtert das BYOD-Konzept die Organisation und sie schätzen, dass gewisse Arbeitsmaterialien, wie E-Books, günstiger sind. Dennoch sind wir uns fast alle darüber einig, dass das Gerät an sich eine Ablenkung darstellt.
Ich bin der Meinung, dass man noch mehr Formate digitalisieren sollte. So könnte man zum Beispiel das Klassenbuch auf dem Intranet verwenden oder neue Programme ausprobieren.  
Meiner Meinung nach hätte eine all­gemeine Einführung für die wichtigsten Anwendungen durch eine Fach­­person am meisten Sinn ergeben. Ausserdem hätte es bei der Handhabung im Unterricht viel Zeit erspart, wenn alle dieselben Geräte gekauft hätten.  


Wo sehen Sie persönlich die Vorteile des Einsatzes digitaler Medien im Schulalltag, wo die Vorteile von analogen Arbeitsweisen im Schulalltag?

Wie bereits erwähnt, finde auch ich die Organisation auf dem Gerät einfacher, man hat kein Papierchaos, kann nach Stichwörtern suchen und findet schnell die gewünschte Notiz. Der schnelle Zugriff auf Informationen erleichtert die Recherche – das bemerke ich speziell beim Verfassen meiner Maturarbeit. Ausserdem sehe ich grosses Potenzial für das Entwickeln von neuen Lern- und Lehrmethoden. Ich lerne beispielsweise seit der Primarschule mit Quizlet und ich denke, dass solche Apps in Zukunft immer mehr den Lernalltag erleichtern werden.
Den Vorteil von analogem Lernen sehe ich für mich im Umgang mit Zu­sammenfassungen: Selbst wenn ich, wie oben erwähnt, die Zusammenfassungen auf dem iPad erstelle, arbeite ich nachher mit einem Ausdruck. Da ich aber nach wie vor sehr gerne mit Stift auf Papier schreibe, fasse ich den Prüfungsstoff meistens analog zusammen. Meine Deutschnotizen sind alle von Hand geschrieben, nach Kategorien geordnet, in einem Ordner abgelegt. Zusätzlich empfinde ich es als ein gutes Gefühl, zu sehen, wie viel ich schon gearbeitet habe. Das fällt beim Arbeiten auf dem Gerät weg. Meistens kann ich mich auch länger konzentrieren, wenn ich auf Papier schreibe, zudem bekomme ich seltener Kopfschmerzen.

 
Es ist spannend zu hören, dass Sie Ihre Zusammenfassungen lieber auf Papierschreiben – das geht uns auch so, aber wir dachten, das liegt am Alter oder an der Generation. Haben Sie einen Unterschied bezüglich des Lernerfolges feststellen können, je nachdem, ob Sie digital oder analog lernen?

Ich lerne grundsätzlich besser analog. Ich mag handschriftliche Notizen auf echtem Papier. Ich kann so die Blätter nebeneinanderlegen und miteinander vergleichen. Auch das Anstreichen mit analogem Leuchtmarker führt bei mir zu besserer Einprägung des Stoffes und folglich besseren Lernergebnissen.
 

Was halten Sie von den neuen Regeln im Umgang mit mobilen Geräten, die seit diesem Schuljahr auf der Unterstufe gelten?

Ich sehe zwei Problematiken bei dieser Regelung. Einerseits: Wer kontrolliert die Erstklässler:innen während der Pausen und welche Massnahmen werden bei Regelverstössen ergriffen? Es sind schliesslich die eigenen Geräte der Schüler:innen. Zudem machen Verbote gewisse Dinge noch attraktiver. Deshalb glaube ich, dass es hilfreicher wäre, einen gesunden Umgang mit den Geräten zu lehren, anstatt sie zu verbieten – vermutlich wird die verlorene Bildschirmzeit dann in der Mittagspause nachgeholt.  
Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass man während der Pause nicht immer die soziale Interaktion sucht; das Handy bietet in gewissen Fällen auch die Möglichkeit des Rückzugs. Witzig ist, dass man trotzdem zusammensitzt, auch wenn alle am Handy sind; häufig wird dann über die Games gesprochen. Überdies sehe ich jetzt rückblickend, dass der Handykonsum mit steigender Klassenstufe nachlässt. Das scheint auch bei den anderen Klassen so zu sein.

Anmerkung der Gesundheitskommission: Der unbeaufsichtigte Gebrauch der mobilen Geräte (Handy und Computer) ist auf der Unterstufe nur über Mittag gestattet.

Das Handy bleibt am Vormittag und am Nachmittag ausgeschaltet und in der Schultasche verstaut. Das Arbeitsgerät wird in der Pause zugeklappt.

Games dürfen auf dem Arbeitsgerät während des Unterrichtstages nicht zugänglich sein, d.h. sie sind darauf entweder gar nicht installiert oder der Zugang ist gesperrt.

Gemäss unserer Beobachtung funktionieren die Massnahmen nicht schlecht. Es gibt mehr Gespräche, mehr Bewegung (mehr Lärm…) und mehr Spiele. Natürlich halten sich nicht alle an die Regeln, aber durch die Gespräche mit den Klassenlehrpersonen reflektieren die Schüler:innen ihr Verhalten und besprechen Alternativen zum Handy. Eine Klasse hat beispielsweise angeregt, eine Spiele- und Bücherbox in jedes Unterstufenklassenzimmer zu stellen.

 

Werden gesundheitliche Risiken von übermässiger Bildschirmzeit in Ihrem Freundeskreis thematisiert? Haben Sie diesbezüglich selbst Beobachtungen gemacht?

Als ich mir eine Brille machen lassen musste, war es klar, dass ich einen Blaulichtfilter brauchen werde. Und dennoch finde ich es anstrengend, über längere Zeit in den Bildschirm zu starren. Vielleicht hat das auch mehr mit dem Medienkonsum, als mit der grundsätzlichen Bildschirmzeit zu tun, aber ich habe seit langer Zeit schon einen Timer auf Instagram, weil ich sonst einfach zu lange drauf bin.  
In meinem Freundeskreis sind sie selten ein Thema. Wir alle sind mit digitalen Medien aufgewachsen und wissen sehr gut, wie wir damit umgehen müssen. Jede:r macht es so, wie es für sie/ihn gut ist. Viele haben ebenfalls Timer für verschiedene Apps, unter anderem auch für Instagram oder TikTok.  

 
Was sollte Ihrer Meinung nach im Schulalltag immer analog bleiben?

Mathematikprüfungen, sofern sie nicht Multiple Choice sind. Ich finde die Übersicht auf Papier einfach viel besser und, wie bereits erwähnt, man kann sich besser konzentrieren. Ich sehe auch den Nutzen der Geräte im analogen Sportunterricht nicht.


Sie sind jetzt in der 6. Klasse und haben einige Entwicklungen bezüglich des Einsatzes von digitalen Medien am LG miterlebt. Was für Tipps können Sie den jüngeren Schüler:innen aus ihrer jetzigen Sicht geben?

Ich empfehle, von Anfang an ein Gerät für die Schule und ein privates anzuschaffen – falls dies finanziell möglich ist. Diese Trennung verhindert die Ablenkung während des Unterrichts, weil man darauf achten kann, dass man weniger Games auf den Arbeitscomputer lädt, aber auch nicht an die Schule erinnert wird, wenn man mal zu Hause Youtube schaut. Wichtig finde ich auch, dass man für sich herausfindet, was am besten zu einem passt: Welche Notiz-App ist die richtige für mich? Mit welchen Apps kann ich gut lernen?

 
Und was empfehlen Sie den Lehrpersonen oder der Schulleitung?

Zu Beginn hatte ich häufig das Gefühl, dass ein Teil der Lehrpersonen über die Umstellung auf BYOD nicht sehr erfreut war. Für mich war das BYOD-Konzept schon lange fällig und ich sehe vor allem eine Chance darin. Die digitale Welt bie­tet so viele Möglichkeiten, den Unterricht interaktiver und abwechslungsreicher zu gestalten. Ich hätte mir als Schülerin gewünscht, dass das Gerät nicht nur als Papierersatz genutzt würde. Quizlet hat zum Beispiel eine Funktion, um in der Klasse spielerisch Vocis zu lernen. Mein Tipp wäre also, Zeit zu investieren, um die verschiedenen Optionen kennenzulernen und auch in der Klasse nachzufragen, ob jemand Apps, Programme oder Webseiten kennt, die sich für den Unterricht eignen würden. Aus meiner Perspektive kann der Unterricht nur von einem gut genutzten BYOD-Konzept profitieren.
 


Sonja Binz unterrichtet am LG Sport, Nicole Burian Mathematik. Sie leiten zusammen die Gesundheitskommission.
Illustration: Ella Neeser