Essay
DIE FASZINATION VON ALIENS
AUSSERHALB UNSERER IRDISCHEN GRENZEN
Von Justin Davies
Der Wald ist dunkel, ein eisiger Wind fegt über die Tannenbäume hinweg. Das schwache Licht der Dämmerung enthüllt eine Lichtung. Etwas im Gestrüpp raschelt, ein Zweig knackt. Ein Eichhörnchen schaut hoch. Die Bäume bewegen sich noch gleichmässig im Wind. Über dem Nachthimmel erstrecken sich tausende Sterne in ihren wunderschönen Konstellationen. Sie funkeln weiss auf schwarz, als plötzlich ein weiterer Stern zu sehen ist, ein roter. Das Licht nähert sich dem Boden, wird heller, blendend sogar. Das Eichhörnchen weicht erschrocken zurück. Ein riesiges Raumschiff landet auf der Lichtung. Eine Türe öffnet sich, eine Rampe kommt herunter, aus der Öffnung strahlt grelles Licht. Die Silhouetten von humanoiden Wesen erscheinen auf der Rampe und kommen mit langsamen Schritten in Richtung Boden…
Eine solche Szene ist der klassische Anfang vieler Space-Fiction-Geschichten und ist den meisten von uns schon einmal begegnet. Sei es in einem Sci-Fi-Film wie etwa «E. T.», einem Alien Buch von Cixin Liu, einem UFO-Gemälde oder sogar einem Zeitungsartikel, in welchem jemand berichtet, tatsächlich so etwas gesehen zu haben. Seit Jahrhunderten gibt es Geschichten, Berichte, Berechnungen, Lieder, Forschung über Ausserirdische. Die Menschheit ist besessen von anderen Welten und den Kreaturen, die dort leben könnten – zugegeben, manche mehr als andere. Jedoch lesen nicht nur Geeks Sci-Fi-Bücher oder schauen derlei Filme. «E. T. The Extra-Terrestrial» war elf Jahre lang der meistgeschaute Film weltweit. Doch warum ist das so? Um diesem Interesse nachzugehen, traf ich mich mit dem Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Philip Theisohn von der Universität Zürich, der sich unter anderem mit Futurologie und extraterrestrischer Literatur befasst. Mich beschäftigten folgende Fragen: Woher kommt diese Faszination? Was verbindet uns mit Ausserirdischen, die wir nicht einmal kennen? Was bewirkt diese Auseinandersetzung in Bezug auf unsere Gedanken, unsere Ideologien?
Jahrhundertelang glaubte man, wir wären im Zentrum, die einzigen Kreaturen von Bedeutung. Astronomische Fortschritte, insbesondere Kopernikus’ heliozentrisches Modell und Hubbles Entdeckung von mehreren Galaxien, stellten die Vorstellungen der Menschen auf den Kopf. Plötzlich gab es Milliarden von Welten, viele vielleicht ähnlich wie unsere. Und somit kam selbstverständlich die Frage auf, ob es vielleicht auch Wesen wie wir auf anderen Planeten gibt, eine Frage, die heutzutage für manche beantwortet ist und die sich andere immer noch stellen. Für manche war und ist die Vorstellung beruhigend, nicht die Einzigen im Universum zu sein, für andere beängstigend.
Diese Vorstellung ermöglicht uns aber, gewissermassen in den Spiegel zu schauen. Denn wenn wir uns über andere Zivilisationen und ihre mögliche Entwicklung Gedanken machen, Geschichten über andere Welten und Wesen mit anderen Kulturen lesen, dann müssen wir auch über uns nachdenken. Wir können mit einem Blickwinkel von aussen unsere Gesellschaft betrachten und beurteilen. Prof. Dr. Theisohn nennt dies in seinem Buch «Einführung in die Ausserirdische Literatur. Lesen und Schreiben im All» das «Ausserirdische Bewusstsein» und stellt fest, dass Gedanken über Ausserirdische einem automatisch dieses Bewusstsein geben. Dieses Ausserirdische Bewusstsein ist für unser eigenes Wahrnehmen sehr entscheidend. «Das ausserirdische Auge sieht den grossen Zusammenhang», so Philip Theisohn. Den grössten Teil dieses Spiegels bietet die Literatur an. Denn, wo sonst kann man so einfach in eine andere Welt schlüpfen und auf unseren Planeten hinabschauen?
Seit dem Erscheinen des Romans «War of the Worlds» vom englischen Autor H. G. Wells wird die Space-Fiction-Literatur von kriegerischen Konflikten mit Ausserirdischen überschwemmt. Krieg ist das häufigste Motiv in Büchern und Filmen, die von Treffen mit Aliens handeln. Offensichtlich ist das guter Stoff für eine Geschichte. Aber steckt noch etwas mehr dahinter? Die Aussicht auf etwas Fremdes. Und schon wird damit Krieg verknüpft. Wollen die Leser:innen, dass das Fremde eben fremd bleibt? Widerspiegelt dieses Muster, das schon seit Anfang der Menschheit zu erkennen ist, ein Muster der Verfremdung und der Vorurteile? Oder ist es einfach nur spannend? Prof. Dr. Theisohn meint, das Motiv des Krieges deute auch auf ein Thema hin, das von Autor:innen und Wissenschaftler:innen zugleich behandelt werde: Zivilisationen wachsen, doch die Ressourcen im Universum bleiben gleich. Jede Zivilisation hat ihre Grenzen und wir stossem ganz offensichtlich an unsere. In den letzten 50 Jahren hat sich unsere Bevölkerung verdoppelt, doch die Erde ist immer noch gleich gross. Die weltweite Hungersnot hat einen akuten Stand erreicht. Armut ist auch kein neues Thema. Unser technologischer Fortschritt in den letzten 100 Jahren ist zwar atemberaubend, doch wie lange dauert es, bevor wir das Ganze nicht mehr im Griff haben und mit dem Leben auf diesem Planeten wirklich Mühe bekommen, weil einfach nicht mehr genügend Platz für uns alle vorhanden ist? Viele der Kriege in Space-Fiction-Büchern handeln von genau einem solchen Ressourcenkampf, in welchem Spezies ihre eigenen Grenzen zu erweitern versuchen. In diesem Kontext sind nicht immer die Ausserirdischen die Aggressoren, sondern wir Menschen, bzw. wir sind dann die bösen Aliens, wie etwa in Adrian Tchaikovskys «Children of Time». «Wir wollen etwas, die haben etwas, wir sind stärker. Was machen wir? Wir nehmen es, wir unterwerfen sie. Mit den Marsmenschen kommen vor allem diese Fragen. Wer ist der Stärkere? Werden wir kolonialisiert oder sind wir Kolonisatoren? Werden wir ausgerottet?», fasst Prof. Dr. Theisohn diese Überlegung zusammen. Diese koloniale Ausbreitung ist das Motiv vieler Sci-Fi-Bücher und Filme, denn wenn eine intelligente Spezies überleben möchte, dann muss sie ihre Grenzen erweitern und nicht überschreiten.
Zum Glück sind nicht alle Vorstellungen von einem Treffen mit Ausserirdischen so düster. «There’s a starman waiting in the sky, he’d like to come and meet us but he thinks he’d blow our minds» von David Bowies Hit «Starman» beschreibt eine idyllische Szene, in der ein Mann von einem anderen Planeten aus purer Neugier uns Menschen treffen will, nicht wegen irgendeines Ressourcenmangels, sondern einfach, weil er jemanden Neues kennenlernen möchte. Denn nur eine Zivilisation, die sich nie hinterfragt oder verbessert, nicht über die eigene Bedeutung im Kosmos philosophiert, nicht das Ausserirdische Bewusstsein besitzt, hat kein Interesse daran, Ausserirdische zu finden, sich mit ihnen auszutauschen und von ihnen zu lernen. Wollen wir eine solche Gesellschaft sein?
… Die Aliens tragen mehrere komplexe Gegenstände auf den Boden, ähnlich jenen, wie Menschen sie haben, aber doch anders. Sie beginnen, merkwürdige Dinge zu machen, bis aus der Ferne Menschengeschrei ertönt. Erschrocken eilen die bleichhäutigen, grossäugigen Wesen in ihr Schiff zurück. Mehrere Menschen in militärgrünen Uniformen erscheinen und bewundern das riesige UFO. Nachdem sie lange Zeit reglos das Schiff angestarrt haben, klopft eine Frau an die Rampe und die Menschenmenge setzt sich etwas abseits auf den Boden. Die Aliens kommen langsam herunter und setzen sich ebenfalls auf den Boden. Immer mehr Menschen erscheinen und bringen diverse Gegenstände, von Antiquitäten und Gemälden bis zu Maschinen und Computern und Behältern mit Früchten, Gemüsesorten und andere terrestrische Delikatessen, welche sie den Aliens geben. Jene überreichen ihrerseits den Menschen Geschenke von ihrem Heimatplaneten. In der kalten Winterluft erklingt Musik, welche mit dem Gelächter von Menschen und Aliens zugleich einen wunderbaren Klang erschafft. Das Eichhörnchen geht wieder in seinen Kobel, ahnungslos, wie wichtig das Ereignis ist, welches es gerade erlebt hat, welche Grenze gerade überwunden worden ist.
Justin Davies ist Schüler der Klasse 4i und Teil der Redaktion LGazette SJ 23/24
Illustration: Jonas Aellig (6b SJ 23/24)