Portrait
Das richtige Gleis
Walter Schubiger
von Justin Davies
Ich klopfe an seiner Tür; er bittet mich herein und fragt, wie es mir gehe. Ich erwidere die Frage und setze mich. Ein kleines, friedliches Lächeln macht sich breit auf seinem Gesicht. Von Anfang an ist er freundlich und bringt eine gewisse Gelassenheit in die Situation; nur schon, wie er mir ein Glas Wasser anbietet. Mir ist sehr bewusst, dass ich meinen zuständigen Prorektor interviewen würde – die Person, die auch für die Disziplin von mir und meinen Kolleg:innen zuständig ist. Wobei ich nicht hoffe, dass wir uns unter solchen Umständen wiedersehen werden. «Ja, wie wollen wir anfangen?», fragt er.
Wie kommt es nun dazu, dass ich hier jemandem gegenüber sitze, der weniger lang als ich am Literargymnasium ist? Walter Schubiger ist nämlich hier neu Geographielehrer und zuständiger Prorektor für alle 3. und 4. Klassen. Die letzten 15 Jahre hat er an der KME (Kantonalen Maturitätsschule für Erwachsene) als Lehrperson gearbeitet. Zusätzlich war er dort Konventsleiter und damit in einer Brückenfunktion zwischen Lehrerschaft und Schulleitung tätig. Dies war auch ein Grund, wieso er am LG eine ansprechende Berufsmöglichkeit sah, als die Prorektoratsstelle vor einem Jahr neu ausgeschrieben wurde. Die Chance eine wichtige Rolle in einer Schulleitung zu übernehmen und überdies sein Fach zu unterrichten, wollte er unbedingt ergreifen. Er fand die Schule nur schon wegen dem Namen «Literargymnasium» sehr spannend. «Es hat mich daraufhingewiesen, wo die Akzente liegen dürften», meint er in Bezug auf den Schwerpunkt für Sprachen, den wir an unserer Schule haben. Auch spreche ihn das Profil des LG an. «Weiter haben mich auch die internationale Ausrichtung der Schule mit dem IB und der UNESCO-Assoziierung, das breite Kultur- und Freifachangebot sowie das Langzeitgymnasium gelockt.» Aus diesen Gründen habe er den langen und anstrengenden Bewerbungsprozess auf sich genommen – er erwähnt dabei beiläufig, dass ihm bei den zwei Auftritten vor dem Gesamtkonvent das Kollegium sehr sympathisch war. Er reüssierte und arbeitet nun seit vergangenem Sommer mit viel Engagement am neuen Arbeitsort. Bezüglich Umstellung auf die Unterrichtsarbeit mit Jugendlichen – im Vergleich zu seiner langjährigen Arbeit mit Erwachsenen – nimmt er eine positive Betrachtungsweise ein: «Ein Vorteil ist, dass wir mit unseren Schülerinnen und Schülern viel Zeit haben, um etwas aufzubauen und gemeinsam zu erarbeiten. Sie treten ins Untergymnasium ein als Kinder – kurz vor der Pubertät – und verlassen uns an der Grenze zum Erwachsensein.» Er zögert und merkt an, dass er am LG als Lehrer und Prorektor auch stärker eine disziplinarische Funktion einnehmen müsse. Doch werde er sich ganz auf seine Erfahrungen vor der Erwachsenenbildung berufen können. Herr Schubiger hat nicht nur während seiner Ausbildung als Lehrer an der KS Wiedikon und anderen Kantonsschulen verschiedene Stellvertretungen übernommen, sondern auch während eineinhalb Jahren an der Kantonsschule Wattwil und während vier Jahren an der Kantonsschule Baden als Lehrer gearbeitet.
Lehrer zu werden, war jedoch nicht von Anfang an der Plan. Herrn Schubigers Leidenschaften liegen – wenig überraschen – ursprünglich bei den Kernthemen seines Unterrichtsfachs, der Geographie. Insbesondere Kultur, Globalisierung und Entwicklungsgeographie, aber auch das Wetter und das Klima respektive das allgegenwärtige Thema des Klimawandels. Zur Globalisierung und der Entwicklungsgeographie stellt er sich folgende Fragen: «Warum läuft es in manchen Weltregionen nicht so gut? Was sind die Hintergründe? Was sind die Verknüpfungen, auch mit uns, was haben wir damit zu tun? Ob wir es wollen oder nicht, ob wir es wissen oder nicht, haben wir einen Einfluss darauf, wo Arbeitsplätze generiert werden, ob Leute gut bezahlt werden oder nicht.» Auch die Meteorologie, insbesondere die Atmosphärenphysik, interessierte ihn während seines Studiums. Er gesteht, er habe sich zu Beginn seines Studiums nicht getraut, Physik als Nebenfach zu wählen. «Das hätte mich sehr interessiert, allerdings war ich in meiner Schulzeit in Mathematik und Physik schlecht unterwegs.» In der Schule habe er sich mit anderen Fächern über Wasser gehalten, dann aber im Studium sehr viel investieren müssen, weil sich die mathematischen Herangehensweisen für die Geographie eben nicht mehr umgehen liessen. Die Freude an Mathematik wuchs und sein Abschluss im entsprechenden Nebenfach war im Gegensatz zu seiner Zeit am Gymnasium äusserst erfreulich. Interessanterweise verstand er sich in seiner Schulzeit nicht sehr gut mit seinem Geographielehrer. «Ich musste des Öftern auch vor der Türe warten und habe damals nicht genau begriffen warum.» Er ist aber, zu unserem Glück, trotzdem Geographielehrer geworden. Diese Faszination habe angefangen, als er mit einer Kollegin eine der Grundvorlesungen besucht habe. Am Ende sei die Kollegin ausgestiegen und er geblieben. Die Fachrichtung war ab diesem Moment klar; die Schulkarriere wäre aber beinahe auf der Strecke geblieben. Gegen Ende seines Studiums überlegte sich Herr Schubiger für kurze Zeit, vielleicht zu doktorieren und fand die Idee spannend, sich über längere Zeit intensiv mit einem Thema zu befassen: «Ich könnte mir gut vorstellen, dass ich wirklich den anderen Weg gegangen wäre.»
Das Thema mit den Wegen fasst er mit einer Analogie von Schienenweichen zusammen und bezeichnet die Entscheidungen, die man im Leben habe, als Weichen und den Weg, den man gehe, als Schienen. Nach der Matura habe man alle Gleise zur Verfügung, dann wähle man einen Studiengang und es kämen immer mehr Weichen, dass es immer unwahrscheinlicher werde, dass man nach zwanzig Jahren dort sei, wo man sich ursprünglich gesehen habe. «Das dauert seine Zeit, aber ich habe es doch nach meinem Studium recht aktiv wahrgenommen.» Walter Schubiger ist zufrieden damit, wie er die Weichen gestellt hat und wo er angekommen ist.
Justin Davies ist Schüler der Klasse 3i.
Bild: Delia Schiltknecht.