Essay
Warum wir Chips essen, wenn wir traurig sind
Über das Zusammenspiel von Essen und Emotionen
Jeder kennt das Filmklischee: Herzschmerz, Tränen auf der Couch, wenn man Liebeskummer hat, heult man vor dem Fernseher und stopft tonnenweise Eiscrème in sich rein. Klingt etwas überzogen, fast lächerlich, doch ein kleines bisschen Wahrheit steckt doch hinter den Hollywoodromanzen. Denn unser Essverhalten wird nicht nur durch Hunger gesteuert, sondern oft auch durch unsere emotionale Verfassung. Psychische Zustände wie Stress, Traurigkeit oder Einsamkeit können direkten Einfluss darauf haben, wann, wie viel und was wir essen.
Dieses Phänomen nennt man auch «emotionales Essen», also Essen nicht aufgrund von körperlichem Hunger, sondern als Reaktion auf starke Emotionen. Vor allen Dingen kommt dies bei Menschen vor, die versuchen, ihre negativen Gefühle wie Stress, Einsamkeit oder auch Angst zu verdrängen und wortwörtlich in sich hineinzufressen. Sie verbinden hierbei ihre Gefühlswelt mit dem Essen und erleben dieses als eine Möglichkeit, sich besser zu fühlen. Stark heruntergebrochen: Pizza = glücklich. Aber eben nur auf kurze Sicht, wenn überhaupt. Denn emotionales Essen wird dann problematisch, wenn es über längere Zeit als Vermeidungsstrategie eingesetzt wird. Dann wird das Essverhalten zu einem sogenannt «maladaptiven Coping-Mechanismus», was bedeutet, dass die gewählte Bewältigungsstrategie (Coping-Mechanismus), um mit starken Gefühlen oder schwierigen Situationen umzugehen, fehlangepasst (maladaptiv) ist, was nicht hilfreich ist.
Emotionales Essen ist keine psychische Störung und ein relativ normaler, weit verbreiteter, nicht krankhafter, jedoch ungesunder Verdrängungsmechanismus. Hierbei gilt es, klar von Binge-Eating zu unterscheiden, bei dem Betroffene in kurzer Zeit in fast manischem Zustand Unmengen an Lebensmitteln zu sich nehmen, begleitet vom Gefühlseindruck, die Kontrolle verloren zu haben. Im Gegensatz zur Binge-Eating-Störung ist das emotionale Essen ziemlich weit verbreitet, fast jede:r Dritte kann sich mit dieser Essensangewohnheit identifizieren. Was Betroffene zu emotionalem Essen bewegt, ist jedoch ganz unterschiedlich – für die einen braucht es nur einen stressigen Tag bei der Arbeit, für die anderen dann doch etwas Schwerwiegenderes, wie den zu Beginn erwähnten Liebeskummer.
Der Grund, weshalb wir uns besser fühlen, wenn wir unseren «Comfort Food» essen, lässt sich neurobiologisch leicht erklären: Beim Verzehr wird Dopamin ausgeschüttet, ein Neurotransmitter, der uns angenehme Gefühle beschert und eine Art Belohnung für uns ist. Wenn wir Dopamin ausschütten, speichert das Gehirn dies. Wenn es uns nun schlecht geht, meldet sich das Gehirn wieder und erinnert uns daran, dass eine Pizza uns jetzt glücklich machen würde. Besonders bei zuckerreicher Nahrung wird ausserdem Serotonin ausgeschüttet, welches man auch «Wohlfühlhormon» nennt – es trägt also ebenfalls dazu bei, dass man sich besser fühlt. Die Stressachse aktiviert bei Belastung das Hormon Cortisol, was das Verlangen nach energiereichem Essen steigert. Das wiederum führt zu einem kurzfristigen emotionalen «Boost», der jedoch rasch abflacht und negative Gefühle verstärken kann – ein typischer Teufelskreis also.
Nach einem stressigen Tag – vielleicht einer unbefriedigenden Note, einem vollen Terminkalender oder einfach mieser Stimmung – landet man also schnell bei einer Tüte Maltesers. Die Süsse, der Crunch – für einen Moment ist da dieses kleine Hochgefühl, denn unser Gehirn schüttet nun Dopamin aus. Doch kaum ist die Tüte leer, wird einem das Völlegefühl unangenehm und der ursprüngliche Stress oder die schlechten Gedanken sind nicht wirklich verschwunden. Man merkt, dass das Essen nur eine kurzfristige Lösung war – aber das Muster schleift sich ein.
Doch unser Essverhalten wird nicht nur durch biochemische Prozesse beeinflusst – oft sind es auch früh erlernte Muster, die schon in der Kindheit angelegt werden. Die Entwicklung von emotionalem Essen beginnt oft schon hier. Vielleicht hast du ähnliche Sätze schon einmal gehört: «Wenn du brav bist, bekommst du eine Glace!», «Iss deinen Teller leer, dann gibt’s Nachtisch», «Heute gibt’s eine Tüte Gummibärchen – Mama muss kurz in Ruhe arbeiten». Was zunächst harmlos wirkt, kann langfristig problematisch sein. Essen wird in solchen Momenten als Ersatz für Zuwendung, Aufmerksamkeit oder Trost eingesetzt – es übernimmt eine Funktion, die eigentlich emotionale Nähe erfüllen sollte. Wenn Essen zur Belohnung oder gar Bestrafung eingesetzt wird, kann das beim Kind ein ungesundes Verhältnis zum eigenen Essverhalten prägen. So entsteht bereits früh im Gehirn eine Verbindung zwischen Gefühlen und Nahrung. Statt zu lernen, mit Frust, Langeweile oder Ablehnung umzugehen, erlebt das Kind eine einfache Lösung: Essen macht es kurzfristig besser. Das Belohnungssystem springt an – Dopamin wird ausgeschüttet, doch langfristige und hilfreiche Bewältigungsstrategien fehlen.
Ob man gerade emotionalen Hunger hat, kann man daran erkennen, dass sich der Hunger nicht durch Essen stillen lässt. Körperlicher Hunger entwickelt sich langsam, wohingegen emotionaler Hunger ganz plötzlich auftritt. Wenn man dem körperlichen Hunger nicht folgt, dann geht es einem ausserdem physisch schlechter – es knurrt der Magen, man wird unkonzentriert und hat weniger Energie. Isst man jedoch genug, fühlt man sich satt und gestärkt. Bei emotionalem Essen jedoch tendiert man dazu, sich zu überessen, man fühlt sich schwer und träge, und es wird einem vielleicht sogar schlecht.
Wenn du dich nun mit diesem Essmuster identifizieren kannst, dich damit unwohl fühlst und gerne ein gesünderes Verhältnis zu Essen hättest, gibt es einige Tipps, die du befolgen könntest. Am besten gehst du Schritt für Schritt vor, setzt die Methoden langsam um und versuchst, sie allmählich in deinen Alltag zu integrieren. Der erste Schritt ist, ein Bewusstsein für das Essverhalten zu erlangen. Überlege dir, wenn du Hunger hast, ob es körperlicher oder emotionaler Hunger ist. Falls dir dies schwerfällt, führe ein Ernährungstagebuch, um eventuelle Muster herauslesen zu können. Überlege dir dabei, welche Gefühle dem emotionalen Essen vorausgehen. Als nächsten Schritt könntest du dir überlegen, was dich ausser Essen noch glücklich macht und positive Gefühle in dir auslöst. Notiere dir ein paar Ideen, damit du später bewusst darauf zurückgreifen kannst. Versuche dich ausserdem im Alltag zu entspannen und Stress zu vermeiden oder ihm zumindest vorzubeugen. Dabei helfen Dinge wie Yoga oder Meditation. Ausserdem solltest du Diäten unbedingt vermeiden, da sie häufig zu zusätzlichem Stress führen und oft nicht gesund sind. Iss stattdessen regelmässig, langsam und achtsam – geniesse jeden Bissen und nimm bewusst wahr, wie du isst. Versuche, nur auf dich und vor allem auf deinen Körper zu hören, denn so wirst du dich sowohl körperlich als auch mental am besten fühlen. Denk daran: Ein gesundes Essverhalten beginnt nicht mit Verzicht, sondern mit Selbstfürsorge, Achtsamkeit und dem Vertrauen in deinen eigenen Körper.
Am Ende geht es beim Essen nicht nur um Nährstoffe, sondern auch um den Umgang mit Gefühlen. Emotionales Essen ist kein persönliches Scheitern, sondern oft ein Zeichen für unerfüllte Bedürfnisse. Wer lernt, diese zu erkennen und ihnen anders zu begegnen, kann ein entspannteres Verhältnis zum Essen entwickeln – Schritt für Schritt, mit Achtsamkeit und ohne Druck.
Kommentar von Dr. Dominique Simon
Der Text bietet eine fundierte Analyse der Zusammenhänge von Hunger und Sättigung. Zucker wirkt aufs Gehirn und setzt Dopamin sowie Serotonin frei – das ist richtig. Pointiert gesagt: Schokolade macht eben doch glücklich. Und gleichzeitig hat die Autorin völlig recht, dass wir süsses und fettes Essen eben nicht als Ersatz für Trost, Zuwendung oder Belohnung nutzen sollten – auch wenn die Food-Industrie alles tut, um Süsses und Fettes bunt verpackt z.B. in crunchy Riegeln oder als «umami»-food unter die Leute zu bringen. Und dabei Milliarden verdient. Der Schweizer Arzt und Naturphilosoph Paracelsus hat im 16. Jahrhundert geschrieben, dass die Dosis das Gift ausmache – dieselbe Arznei – darauf bezog er sich – kann fördernd, heilend, oder in grösseren Mengen schädlich, sogar toxisch wirken. Mit dem Zucker ist es dasselbe: Bereits Babys mögen süss, die Muttermilch enthält mehr Glukose als etwa Kuhmilch. Die Natur hat es gut eingerichtet, dass wir das mögen, was uns nützt, denn unser Gehirn braucht Glukose als Brennstoff – in angemessener Dosis. Den guten Tipps, wie wir mit Emotional-Eating-Tendenzen besser umgehen können (bewusst essen, Ernährungstagebuch, alternative Copingstrategien), kann ich als Ärztin grundsätzlich zustimmen. Aber gleichzeitig möchte ich uns auch einladen, das Kopfkarussell einfach einmal bewusst anzuhalten. Weg mit der Selbstoptimierung, verzichten wir aufs Verzichten! Geniessen wir jeden Tag mit einem inneren Augenzwinkern etwas Süsses, Fettes, scheinbar Ungesundes – und verzichten höchstens auf die Reue. Dieses Nicht-daran-denken muss geübt werden, es ist ein bisschen paradox. Aber auch beim Nachdenken übers Essen gilt: allzu viel ist ungesund – Ablenkung kann helfen, der Kopf wird frei für Wichtigeres als Details zum eigenen Essverhalten.
Emily Schnyder von Wartensee ist Schülerin der Klasse 5a und Teil der Redaktion LGazette.
Dr. Dominique Simon war von 2019 bis Juli 2025 Schulärztin am LG Rämibühl.
